BERLUSCONI KANN SICH DAUERSTREIT MIT DER EU NICHT LEISTEN
: Rom ist nicht London

Weiter kann man wohl nicht zurückrudern: Gleich als „Europa-Enthusiasten“ outete sich Silvio Berlusconi gestern in der Times – und das gerade zehn Tage nachdem er den Proeuropäer Renato Ruggiero als Außenminister abserviert hatte. Als sei alles nur ein dummes Missverständnis, überbieten sich Italiens Regierungsmitglieder mit europabegeisterten Erklärungen; sogar Umberto Bossi von der Lega Nord sagt nun nicht mehr, der Euro sei ihm „wurstegal“, sondern hält das neue Geld plötzlich für eine feine Sache.

Doch es waren nicht bloß Worte, nicht bloß ein, zwei europaskeptische Interviews von Kabinettskollegen, die zum Zerwürfnis zwischen Berlusconi und Ruggiero führten. Es waren Taten, die am Anfang standen: Italiens Nein zum Militär-Airbus, das Veto gegen den Europäischen Haftbefehl, die laue Haltung zum europäischen Verfassungskonvent. Mit Ruggieros Rücktritt zog in Europas Kapitalen die Furcht ein, die EU könne zurückkehren zu den Zeiten, als eine handtäschchenschwingende Maggie Thatcher („I want my money back!“) und dann John Major mit denkwürdigen Szenen die europäischen Gipfel belebten, als 14 Staaten am Einigungswerk strickten und Großbritannien sich die Sonderrolle des Bremsers reserviert hatte.

Die Sorge ist unbegründet. Nicht etwa, weil man die Worte des italienischen Premiers gleich für bare Münze nehmen sollte. Sie kommen kaum von Herzen; sie sind aber auch nicht einfach dahergesagt. Berlusconi kann sich eine Dauerauseinandersetzung in Europa schlicht nicht leisten. Zu Hause wäre die Abkehr von der EU äußerst unpopulär. Und international ist Italien zu schwach, um Sonderwege zu gehen. Großbritanniens Euro-Skeptizismus war ein Schaden für Europa, die italienische Variante wäre vor allem ein Schaden für Italien selbst.

Noch eines hat Berlusconi in der jetzigen Krise gelernt: Ihm kann schlicht nicht daran gelegen sein, im europäischen Scheinwerferlicht zu stehen und so den Blick auf all die Anomalien zu lenken, die seine Regierung kennzeichnen: von seiner eigenen Doppelrolle als Politiker und Medienunternehmer bis hin zu den zweifelhaften Koalitionspartnern, den Postfaschisten und den populistischen Rüpeln der Lega Nord. Also hat Ministerpräsident Berlusconi den Außenminister Berlusconi mit der Aufgabe betraut, in Europa eine Politik des low profile zu fahren: Enthusiasmus in Worten bei Verzicht auf integrationsträchtige Taten, ab und zu ein Veto, wenn sich’s als Vertretung italienischer Interessen verkaufen lässt. Aber echte und offen begründete Brüssel-Feindlichkeit, wie sie lange in Großbritannien herrschte, ist in Italien nicht drin. Rom ist nicht London. MICHAEL BRAUN