Vom Aufstieg und Niedergang eines Energiekonzerns

Kaum jemand durchblickte die finanziellen Machenschaften, mit denen Enrons Chefs das Unternehmen groß machten und in die Pleite trieben. In zahlreichen Nebenunternehmen wurden Verluste versteckt. Jetzt geraten Wirtschaftsprüfer in die Schusslinie: Sie sollen Dokumente vernichtet haben

NEW YORK taz ■ Einst war es nur ein Betreiber von ein paar Gaspipelines. 15 Jahre später war es das siebtgrößte Unternehmen der USA. Enron war der Liebling der Wall Street und ein Musterbeispiel für die Wunder der Deregulierung des Energiemarktes, die den freien Handel von Strom zu Marktpreisen erlaubte. Fast ein Viertel des Strom- und Gashandels in den USA wickelte der Konzern vor seinem Zusammenbruch ab, zunehmend per Internet. Der Aktienkurs erreichte seinen Höchststand bei fast 91 Dollar. Nach dem Konkurs im Dezember sind die Aktien mittlerweile nur noch 67 Cent wert.

Der Anfang vom Ende lässt sich auf Oktober des vergangenen Jahres datieren. Damals erwähnte die Konzernleitung en passant auf einer Analystentagung, es seien im Zusammenhang mit bestimmten Finanztransaktionen Abschreibungen in Höhe von über einer Milliarde Dollar nötig. Plötzlich wurden die Banken und Aktionäre hellhörig und begannen Fragen zu stellen. Im November musste Enron rückwirkend bis 1997 seine Bilanzen um rund 20 Prozent nach unten korrigieren, weil Verluste nicht ausreichend berücksichtigt worden seien.

Für Enron-Chef Kenneth Lay waren die Energiekonzerne der alten Schule mit ihren Ölquellen, Raffinerien oder Kraftwerken die reinsten Dinosaurier. Sein Unternehmen basierte darauf, mit der Energie, die andere produzierten, Geld zu verdienen. Doch wie es Enron gelang, damit so viel Gewinn zu machen, das begriff kaum jemand.

Enrons Geheimnis, so zeigt sich jetzt, bestand nicht zuletzt aus einer Vielzahl von Nebenunternehmen, an denen Enron, seine Manager und einige seiner Investoren sämtliche Anteile hielten. Diese Firmen aber waren so gestrickt, dass sie nicht in der Bilanz von Enron auftauchten. Mit ihrer Hilfe wurden Gewinne aufgebauscht und Verluste versteckt. Nebenher bereicherten sich die beteiligten Manager. Als die dubiosen Machenschaften des Konzerns im letzten Herbst langsam ans Licht drangen, wurde Finanzchef Andrew Fastow gefeuert, der so eine Gesellschaft als „Investitionsvehikel“, wie Enron das nannte, betrieben hatte. Doch das Bauernopfer rettete den Konzern nicht.

Laut Konkursunterlagen war Enron bei seinem Zusammenbruch mit 13,1 Milliarden Dollar verschuldet. Dazu kamen jedoch noch einmal 18 Milliarden Dollar Schulden bei Tochterunternehmen und mindestens 20 Milliarden Dollar Schulden, die außerhalb der Bilanzen in irgendwelchen Personengesellschaften versteckt waren. Die Verluste wurden angehäuft, weil Enron wie wild in ausländische Märkte und neue Geschäftsfelder investierte, um seine Wachstumsrate aufrechtzuerhalten.

Vor allem die Breitbandträume trugen wahrscheinlich mit dazu bei, dem Unternehmen das Genick zu brechen. Als der Internetboom allen Investoren das Hirn vernebelte, wollte Enron dicke Gewinne durch den Handel mit Breitbandkapazitäten machen. 1,2 Milliarden Dollar investierte das Unternehmen in Glasfaserkabel – und fand sich dann in einem Geschäft wieder, an dem kaum noch jemand interessiert war. Dummerweise waren die Deals der Nebengesellschaften mit Investoren so angelegt, dass Enron versprach, für die Schulden geradezustehen, wenn die Enron-Aktien unter einen bestimmten Wert fielen oder die Kreditwürdigkeit von Enron herabgestuft würde.

Der Aktienkurs aber begann mit dem Ende der Internet-Euphorie abzusacken. Der Kursverfall beschleunigte sich exponentiell, nachdem der Enron-Vorstand im Oktober auf den Abschreibungsbedarf aufmerksam gemacht hatte; zugleich wurden die Schuldverschreibungen von Enron von den Rating-Agenturen als hoch spekulative Schrottanleihen eingestuft.

Ins Zwielicht geraten nun zunehmend auch die externen Wirtschaftsprüfer von Arthur Andersen. Warum haben sie nicht Alarm geschlagen? Arthur Andersen musste vergangene Woche einräumen, dass offenbar zahlreiche Enron-Dokumente in seinem Besitz vernichtet wurden. Wer die Papiere und Dateien aus dem Weg geräumt hat, wann und warum, ist unklar.

Von Enron selbst ist unterdessen schon nicht mehr allzu viel übrig. Die einstmals so mächtige Energiehandelsabteilung von Enron, das Herz des Konzerns, wurde am Freitag von der Schweizer Bank UBS im Rahmen des Konkursverfahrens ersteigert. Vor einer Woche hatte Dynegy Enrons Gaspipeline zugesprochen bekommen, die als Sicherheit für einen Kredit gedient hatte, den Dynegy Enron im Rahmen der geplanten Übernahme eingeräumt hatte. Und schon im November war die Online-Plattform für Energiehandel eingestellt worden. NICOLA LIEBERT