Tür zu, viele Fragen offen

Wer tötete Laurent-Désiré Kabila? Der offizielle Bericht sagt: Ein junger Leibwächter. Ein ins Exil geflohener Zeuge aus dem engsten Umfeld des Toten widerspricht dieser Version. Er beschuldigt Simbabwe

BRÜSSEL taz ■ Der Mann ist 30 Jahre alt. Er heißt Eddy Musonda. Er war Vizedirektor des Protokolls von Kongos Präsident Laurent-Désiré Kabila. Heute sucht er Asyl in Belgien. Und er sagt, er wisse genau, was in Wirklichkeit am 16. Januar 2001 passierte, als Laurent Kabila in seinem Büro erschossen wurde.

Kongos Regierung hat in einem offiziellen Untersuchungsbericht einen Leibwächter Kabilas namens Rachidi als Mörder benannt. Der habe als Mitglied eines Komplotts junger Soldaten gehandelt. Rachidi habe Kabila erschossen, während dieser in seinem Büro mit Vizekabinettschef Émile Mota konferierte. Er sei dann von Kabilas Chefadjutanten Eddy Kapend getötet worden, als er fliehen wollte. Kapend war es, der danach im Fernsehen die Armee zur Ruhe aufrief.

Eddy Musonda bezweifelt Rachidis Täterschaft. Zwar war er selbst nicht in Kabilas Büro, als der Mord geschah. Doch als er hörte, wie aus dem Büro Schüsse aus einem automatischen Gewehr ratterten, rannte er hin. Er kam bis zur Seitentür, wo Eddy Kapend stand und neben ihm Rachidis Leiche lag. „Er hat den Präsidenten getötet!“, habe Kapend gerufen. Aber als Eddy Musonga die seitliche Bürotür öffnen wollte, war sie verschlossen – von innen. Der Mörder musste das Büro also durch die vordere Tür verlassen haben. Er wäre dann aber kaum vor eine andere, noch dazu verschlossene Tür gerannt, die an den Tatort zurückführt.

Eine weitere Ungereimtheit: Nach der offiziellen Version wurde Kabila mit einer belgischen Pistole mit Schalldämpfer erschossen, die man dem toten Rachidi abgenommen habe. Musonda erinnert sich aber, dass die Soldaten in der Hand des toten Rachidi in Wirklichkeit eine voll geladene nordkoreanische Pistole fanden, aus der keine Patrone fehlte. Und ein Schalldämpfer passt sowieso nicht zu dem Maschinengewehrfeuer, das Musonda aus Kabilas Büro hörte.

Die Behauptung, Rachidi sei der Mörder, stützt sich allein auf die entsprechende Aussage des Vizekabinettschefs Émile Mota, der behauptet, er sei dabei gewesen. Musonda teilte mit Mota nach dessen Verhaftung am 18. Januar eine Zelle. Und er sagt, Mota habe ihm gebeichtet, er sei zu einer Falschaussage gezwungen worden. Er sei in Wirklichkeit überhaupt nicht in Kabilas Büro gewesen, als der Anschlag passierte. Der Präsident war allein, als er von seinem Mörder überrascht wurde.

Aber wenn das nicht Rachidi war, wer dann? Das weiß Musonda auch nicht. Er hat aber einen Verdacht, der sich auf die merkwürdigen Ereignisse nach dem Attentat gründet. Offiziell wurde der Präsident nach dem Anschlag noch lebend in eine Klinik verlegt und kurz darauf nach Simbabwes Hauptstadt Harare ausgeflogen, wo er erst am folgenden Tag starb. Viele glaubten das schon damals nicht. Musonda sagt, er sei direkt nach dem Mord dabei gewesen, als der vor Ort anwesende simbabwische General Chirundze Simbabwes Präsidenten Robert Mugabe angerufen habe. Dieser habe die Überführung Kabilas angeordnet. Danach habe General Chirundze den Sohn des ermordeten Präsidenten angerufen, Joseph Kabila, der sich im südkongolesischen Lubumbashi befand. „Du kannst jetzt zurückkommen“, habe ihm Chirundze gesagt. „Alles ist unter Kontrolle.“

Musonda schließt daraus, dass Laurent Kabilas Ermordung von Simbabwe organisiert wurde. Tatsächlich hat sich mit dem Amtsantritt Joseph Kabilas Simbabwes Einfluss in Kinshasa beträchtlich vergrößert. Und während alle Kongolesen, die sich zum Zeitpunkt des Mordanschlags im Präsidentenpalast befanden, verhaftet und der Unachtsamkeit, wenn nicht gar der Mittäterschaft beschuldigt wurden, blieben die ebenfalls zahlreich vorhandenen Simbabwer sämtlich unbehelligt. Simbabwische Soldaten bewachten sogar die kongolesischen Gefangenen und bilden bis heute die Leibwache des neuen Staatschefs Joseph Kabila.

Beweise hat Musonda nicht. Doch die kongolesische Botschaft in Brüssel ist über Musonda ziemlich erregt. Hätte Simbabwe den Mord organisiert, sagt sie, dann hätte kaum ein simbabwischer General vor Zeugen darüber Telefongespräche geführt. Das ist aber auch alles. Zu Musondas begründeten Zweifeln an der Täterschaft des Leibwächters Rachidi schweigt sie. FRANÇOIS MISSER