Operation am blutenden Herzen

Aus dem Gegenstück der Ostberliner Uniklinik Charité soll ein normales Krankenhaus werden – Westberliner fürchten nun einen „Abbau West“

Das Land alimentiert vier Universitäten, drei Opern, zwei Unikliniken, zwei Eissporthallen, zwei Zoos und sogar zwei Sternwarten in der bankrotten Stadt

von SABINE AM ORDE

Dass die PDS die Zukunft Berlins mitbestimmen darf! Schlimm genug, um einen großen Teil der Westberliner aufzuschrecken, von denen nach Meinungsumfragen zwei Drittel gegen eine rot-rote Landesregierung sind. Doch seit Details aus der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und PDS bekannt geworden sind, machen die bösen Worte vom „Abbau West“ und der „Rache des Ostens“ nicht nur in der Springer-Presse die Runde.

Neben vielen anderen Einsparungen will die künftige Landesregierung zwei Theater und ein Universitätsklinikum schließen, die allesamt im Westteil der Stadt liegen. Das Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) gehört zur Freien Universität (FU). Es soll als Universitätsklinikum aufgegeben und in ein normales Versorgungskrankenhaus umgewandelt werden, ein bundesweit bislang einmaliger Vorgang. Die FU verliert damit ihre medizinische Fakultät und den Rang als Volluniversität. Die Studenten sollen an die Humboldt-Uni übersiedeln, die dann mit der traditionsreichen Charité das einzige Uniklinikum der Stadt betreibt. FU-Präsident Peter Gaehtgens fürchtet den Abstieg seiner Universität in die Zweitrangigkeit. Und sein Stellvertreter Dieter Lenzen spricht gar von „der Preisgabe eines Stücks Geschichte dieser Stadt“ und „einem Affront gegenüber den Amerikanern“.

Denn wer der FU das Wasser abgraben will, der stößt dabei auf die Grundfesten des alten Westberlin. Schließlich ist die Freie Universität 1948 im amerikanischen Sektor ausdrücklich als demokratisches Gegenstück zur SED-Hochschule Humboldt-Universität gegründet worden, weshalb sie auch das Wörtchen „frei“ im Namen trägt. Die FU, das ist ein Teil des Gründungsmythos der Frontstadt Westberlin. Das mit US-amerikanischer Finanzhilfe errichtet UKBF steht in derselben Tradition. Der Bau sei „Ausdruck der engen Verbundenheit zwischen den Vereinigten Staaten und Berlin“ und „Beweis des Vertrauens in die Zukunft dieser Stadt“, heißt es in der Urkunde, die bei der Grundsteinlegung 1959 eingemauert wurde.

An diese Symbole hat sich die große Koalition aus CDU und SPD, die zehn Jahre lang Berlin regiert hat, nicht herangetraut. Auch bei den Pendants im Ostteil der Stadt war man mit Blick auf die innere Einheit der Stadt vorsichtig. Und so gibt es in Berlin auch im zwölften Jahr nach der Wiedervereinigung viele Doppel- und Mehrfachangebote. Das Land alimentiert vier Universitäten, drei Opern, zwei Unikliniken, zwei Eissporthallen, zwei Zoos und sogar zwei Sternwarten in der ehemals geteilten Stadt. Leisten kann sich das Berlin schon lange nicht mehr. Die Hauptstadt ist pleite.

Genau deshalb will Rot-Rot das Klinikum der FU abwickeln. Einen fachlichen Anlass gebe es dafür nicht, versichert der Wissenschaftsexperte der Berliner SPD, Christian Gaebler. Das UKBF sei eine „leistungsfähige, anerkannte Einrichtung“. Allein Berlin könne sich keine zwei Unikliniken leisten. Durch das Aus für das UKBF will der Senat jährlich 190 Millionen Mark an Staatszuschuss für Forschung und Lehre einsparen, dazu einmalige Sanierungskosten von 200 bis 250 Millionen Mark. Es sind also nicht die Vertreter der Ossis, die Nachfolger der SED, die zum Angriff auf das Symbol des alten Westberlins blasen.

Die PDS hat sich in den Koalitionsverhandlungen für die Fusion der beiden Unikliniken und damit letztlich für den Erhalt der FU-Medizin stark gemacht. Umsetzen allerdings muss der designierte PDS-Wissenschaftssenator Thomas Flierl die Abwicklung, was die Ängste der Westberliner noch schüren dürfte. Denn Flierl hat sich bislang vor allem als Verteidiger des sozialistischen Städtebaus hervorgetan.

Treibende Kraft beim Aus für das UKBF aber sind die Sozialdemokraten, denen es in Berlin vor allem ums Sparen geht. Dass die Schließung einer Universitätsklinik dabei in einer Stadt, deren Zukunft auch die SPD als Wissenschaftstandort sichern will, geradezu aberwitzig erscheint, stört die Genossen nicht. Auch die Gefahr für die bislang erfolgreiche Ansiedlung in den Zukunftstechnologien Medizin und Biomedizin beeindrucken die Sozialdemokraten nicht, ebenso wenig wie die 50 Millionen Mark Drittmittel, die die FU-Mediziner jedes Jahr anwerben, und die 2.200 Arbeitsplätze, die am Universitätsstatus der Klinik hängen. Auch die mehreren tausend Mitarbeiter des UKBF, Professoren und Studenten von anderen Berliner Hochschulen, Gewerkschafter sowie Vertreter von CDU und Grünen, die am Wochenende vor den Sonderparteitagen von SPD und PDS trotz eisiger Kälte gegen die Schließung der Uniklinik demonstrierten, stimmten die Delegierten nicht um. „Eine klare Fehlentscheidung“, urteilt die grüne Noch-Wissenschaftssenatorin Arienne Goehler. „Die rote Koalition amputiert damit ein Bein, mit dem die Stadt wirtschaftlich gerade wieder laufen lernen wollte.“

Nur einmal hat die Berliner SPD bislang an die Schließung eines Westberliner Symbols herangetraut: Als ihr Kultursenator Ulrich Roloff-Momin 1993 das Schiller Theater, Berlins größtes Schauspielhaus, schloss. Diese Entscheidung hatte die eigene Klientel monatelang auf die Barrikaden gebracht, was wiederum die Sozialdemokraten nicht unbeeindruckt gelassen hat. Ähnliches könnte mit der Schließung der FU-Klinik drohen – und die rot-rote Koalition schnell den Ruf kosten, zum Zusammenwachsen der Stadt beizutragen.