Onkels feine Reime

■ Max Goldt liest über den 11. September, über Krawatten und Kommentarwichsmaschinen in der Oldenburger Kulturetage

Stellt man sich „jaha“ gelacht vor, dann hat man eine Vorstellung dessen, wie Max Goldts Zuhörer auf seine Texte reagieren. „Jaha“ steht dabei für „ja-stimmt-genau“ und „ha-darauf-wäre-ich-nicht-gekommen“.

Die Sitze zu Goldts Füßen sind bereits wenige Minuten nach Einlass besetzt. Eine Biertischbank wird in den ausverkauften Saal getragen. „Schön, dass Sie da sind“, begrüßt Goldt das Oldenburger Publikum. Es folgen Texte aus dem Buch mit dem unaussprechlichen Titel „Der Krapfen auf dem Sims“, noch unveröffentlichte Auszüge aus seinem „Tagebuchbuch“ und ein älterer Text aus dem 97er Werk „Ä“. Der Schriftsteller, Comictexter, Musiker und ehemaliger Titanic-Kolumnist wirkt einfach sympathisch, wie er da auf seinem Podest sitzt. Erwartbar souverän, aber nicht abgehoben, der sich wundernde Blick ist nicht distanzlos.

Max Goldt ist ein Moralist und ein Aufklärer. Sein Talent liegt darin, ernste Themen mit einer Leich-tigkeit zu versetzen, die ungewohnt ist. Dies gelingt ihm so gut, dass seine Lesungen von einer ständigen Belustigungskulisse untermauert sind, die sich in Oldenburg zwischen lautlosem Grinsen und lauthalsigem Gelächter bewegte.

Das Internet ist Goldt zufolge ein großes, aber schlichtes Reich. „Ähnlich wie Russland“. „Autofahren, Krawatten binden und Internet sollen die Menschen bitte in ihrer Freizeit erlernen“, fordert er in seinem Text „Schulen nicht unbedingt ans Netz“ und plädiert für mehr Aufmerksamkeit der Kulturtechniken Nr. 1 und 2, dem Sprechen und dem Schreiben.

Onkel Max gibt auch Lebensratschläge: „Manche Hausfrau versucht, ihren matt frunzelnden Ehehimmel neu zu besternen, indem sie ihren heimkehrenden Mann allabendlich mit Sülze überrascht“. Falsche Methode: Wer Würze in sein Eheleben bringen möchte, sei besser beraten, der Abwechslung wegen mal zu versuchen, –ihn– mit einer selbst gemachten Definition zu überraschen“. Aha. Goldt: „Eleganz ist eine Form von Komplexität, die sich nicht über die Einfachheit erhaben fühlt“. Nicht schlecht. „Die Überbevölkerung sind alle, die dich nicht lieben“. Auch nachvollziehbar, aber „Wein ist, was man trinkt, wenn das Bier alle ist“ - naja.Max Goldt findet selbst auch, dass er diesen Spruch lieber an Witzhemdchenfritzen verscherbeln sollte – oder ist es eher ein „Accessoire an den Frechdachs-Tourismus“?

Die Rosinen seiner Texte sind die Wortneuschöpfungen. Wie „Kommentarwichsmaschine“, welches diejenige Kommentatoren bezeichnet, die sich ihre Interview-Antworten neben dem Telefon bereitlegen, jedoch vergebens auf Anrufe warten.

Zwischen Tagebuch und „Tagebuchbuch“ gibt es die Unterscheidung, dass Letzteres zur Veröffentlichung gedacht ist. Konkreter gesprochen bereits diesen Herbst, wenn Max Goldt fleißig ist. Persönlich ist sein Textauszug aus seinem „Tagebuchbuch“ von den ersten Tagen nach dem 11. September: Goldt liest vor, wie er „den“ Tag verbrachte, als „es“ passierte. Wie er nach zwei Stunden Fernsehen den Kasten abstellte und das Wohnzimmer mied, in dem der Fernseher sich befand und wie er sich den restlichen Abend dem „debilen“ Ausfüllen von Steuerquittungen widmete. Die „Schaumkrone seiner Lebensfreude“ war gewisserweise heruntergenommen. Wie er einen Tag später mit seinen Freunden zu einer Frankenland-Tour aufbricht und zu einem höchstgradig uninteressanten Geologie-Vortrag auf Nazi-Englisch genötigt wird, erhält neben dem Hyper-Thema 11. September gleich viel Gewichtung.

Wer sich an Goldt Dangast-Lesung vor vier Jahren erinnert, wird die herrlich schmutzigen und dre-ckigen Passagen seiner früheren Texte vermissen. Dem Publikum macht das gar nichts aus, es tobt.

Goldt bedankt sich, lächelt nach links, rechts, geradeaus und verschwindet hinter den Vorhängen. Der Applaus geht weiter, nach zwei Mal Ausatmen steht Goldt wieder vor seinem Tisch und erklärt, dass er sich ungern lange bitten lässt. Als Zugabe gibt es ein Goldt-Gedicht und den gesprochenen Text eines Liedes des Hamburger Hip Hop-Musikers DJ Koze. Es handelt vom „Dissen“, einer Art „Hip Hop-Technik“ des sich gegenseitigen Attestieren von Unfähigkeit in Reimform.

Die verläuft nicht selten unterhalb der Gürtellinie. Einmal „Deine Reime sind Schweine (regelrechte Schweine) und „Meine Reime sind feine Reime“. Das Publikum johlt, zufrieden geht es zum Bücherunterzeichnen in geordneten Bahnen: Treppchen fürs Unterzeichnen, Treppchen für den Abgang. Mona Motakef