Ein Radikaler mit Weitblick

Thilo Sarrazin wird Berlins Sparkommissar. Der Finanzexperte hat sich beim Bund und bei der Bahn als harte Nuss geoutet. „Öffentlicher Dienst und Staatsbankrott“ lautet ein Aufsatz von ihm, der auf Berlin nicht besser passen könnte

SPD-Chef Peter Strieder hat schon klarere Urteile über Senatskollegen gefällt. Thilo Sarrazin, Berlins neuer designierter Finanzsenator, orakelte Strieder am Dienstag, verfüge über politische Erfahrung und sei ein Kenner der Finanzpolitik. Zu mehr Aussagen über Sarrazin ließ sich Strieder bei der ersten Bekanntgabe der Personalie nicht hinreißen. Lag es daran, keine Frau für das Ressort gefunden zu haben? Oder lag es daran, dass der „Supersenator“ einen Kollegen erhält, der die Kleiderordnung in der zukünftigen rot-roten Regierung durcheinanderbringen könnte? „Es ist mir egal, wer unter mir Minister ist“, soll Thilo Sarrazin schon in seinen Anfangsjahren als Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium gesagt haben. Das klingt nach Schneid, Selbstbewusstsein und Krach.

Krach hatte es bei Sarrazins letztem Job als Vorstand der Trans-Netz bei der Deutschen Bahn AG gegeben. Nach nur 15 Monaten verließ er im Oktober 2001 das Eisenbahner-Unternehmen nach Querelen mit Konzernchef Hartmut Mehdorn über nicht verbaute Bundesmittel in Millionenhöhe. Von dem Wort „Rauswurf“ hat sich Mehdorn nachträglich distanziert. Und nach dem Abgang Sarrazins wurden dessen mit Sparsinn organisierten Planungskapazitäten für das Schienennetz und Immobiliengeschäfte in diesem Sinne strukturiert. Eine nachträgliche Absolution?

Denn der 1945 in Gera geborene Volkswirt gilt als gewiefter Finanzexperte, der schwierige Aufgaben meistert und vielleicht darum von Klaus Wowereit als beste Wahl für Berlin bezeichnet wird. Nach seiner Promotion und einer Karriere als Leiter des Ministerbüros im Bundesamt für Finanzen beteiligte sich Sarrazin 1989/1990 federführend an der Vorbereitung der deutsch-deutschen Währungsunion. Die Meriten führten das SPD-Mitglied 1991 als Finanz-Staatssekretär nach Rheinland-Pfalz. Unter dem damaligen Ministerpräsidenten Scharping machte sich Sarrazin vor allem als Sanierer der öffentlichen Verwaltung einen Namen. Einen nicht immer gut gelittenen, bezeichnete doch die FAZ den Sparer als „ekligen“ Reformer, der mit den Wärmestuben zwischen Rhein und Mosel aufräumte.

1993 publizierte Thilo Sarrazin einen Aufsatz, der nicht besser in die heutigen Berliner Zeiten passen könnte: „Öffentlicher Dienst und Staatsbankrott“. Und nicht weniger klarsichtig waren seine Sätze über die Hauptstadt als Geschäftsführer der bundeseigenen Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG), in die er 1997 eintrat. „Die Wirklichkeit Berlins erfordert mehr Radikalität bei politischen Innovationen.“

Die fachliche Radikalität hat für Sarrazin nicht nur bei Bahnchef Mehdorn zum Zerwürfnis geführt. Auch als Chef der TLG eckte Sarrazin an, als er mit Bundesfinanzminister Eichel in Konflikt über die Verkaufsstrategie der Treuhand geriet. Während Eichel forderte, die TLG müsse durch schnelle Veräußerungen der Grundstücke jährlich Millionenbeträge in die Haushaltskasse spülen, wollte Sarrazin mehr. Die Immobilien sollten langfristig entwickelt, im Wert gesteigert und dann verkauft werden. Nicht verschleudern, sondern Geld einnehmen: ein Motto, auf das Berlin lange gewartet hat.

ROLF LAUTENSCHLÄGER