Fünf Jahre liberaler Strommarkt

Immer noch behindern etliche Hemmnisse den Wettbewerb auf dem Energiesektor. Auf Konferenz in Berlin kündigt Kartellamt zahlreiche Verfahren gegen Konzerne an. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller stellt gesetzliche Regelung in Aussicht

aus Berlin NICK REIMER

Wenn es nach dem Bundeswirtschaftsminister geht, gibt es nur Gewinner. „Der Wettbewerb hat den Strompreis für Privatkunden seit 1998 um 18 Prozent gedrückt“, erklärte Werner Müller. Die Industrie hätte seit der Liberalisierung gar Nachlässe von bis zu 50 Prozent erzielt.

Doch es geht nicht nur nach Müller. „Fünf Jahre Liberalisierung“ – unter dieser Überschrift zieht die Politik gemeinsam mit der deutschen Energiewirtschaft in Berlin seit Dienstag Bilanz. Und die fällt weit weniger euphorisch aus als die Eröffnungsrede des Bundeswirtschaftsministers. Trotz der Marktöffnung nämlich gibt es immer noch eine Vielzahl von Wettbewerbshindernissen. Walter Hirche, Energie-Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, nannte etwa eine unzureichende Entflechtung der Konzerne, übermäßig hohe Netzdurchleitungsgebühren oder die große Marktmacht der ehemaligen Gebietsmonopolisten. Die bündnisgrüne Energiefachfrau Michaele Hustedt sieht gar die Liberalisierung in Gefahr: „Die Wettbewerbsintensität nimmt wieder ab, die Preise stiegen seit letztem Jahr deutlich.“

Die Industrie nutzte die vom Handelsblatt organisierte Konferenz, um das Klagelied gegen die Ökosteuer neuerlich zu proben. „Es ist ein Kardinalfehler, dass die durch die Liberalisierung erzielten Preissenkungen zu fast drei Viertel wieder abgeschöpft worden sind“, kritisierte etwa Ludolf-Georg von Wartenberg vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Etwa 15 Milliarden Euro sind nach Industrieberechnungen durch die Liberalisierung eingespart worden, die Belastungen durch die rot-grüne Gesetzgebung aber auf etwa 10 Milliarden Euro gestiegen. Interessanterweise wies ausgerechnet Peter Ramsauer, CSU-Landesgruppengeschäftsführer im Bundestag, diese Zahlen als unseriös zurück. Und auch Kartellamtspräsident Ulf Böge widersprach der BDI-Kritik: „Die Preisentwicklung ist keineswegs nur mit der Ökosteuer zu erklären. Der Verdacht monopolistischen Marktverhaltens steht deutlich im Raum.“

Böge gab gestern bekannt, dass das Bundeskartellamt ein erstes Missbrauchsverfahren gegen einen deutschen Energieversorger wegen überhöhter Netznutzungsentgelte eingeleitet hat. Böge: „In den nächsten Tagen folgen zehn weitere Verfahren.“ Entsprechend heftig wurde die Frage diskutiert, wie man gegen „schwarze Schafe“ vorgehen kann. Einig sind sich Politik und Branche, dass es keiner Regulierungsbehörde – wie etwa auf dem Telekommarkt – bedarf. „Wir dürfen es aber andererseits nicht den Gerichten überlassen, den Wettbewerb zu regulieren“, forderte Klaus-Dieter Krahl von den Stadtwerken Forst. Bundeswirtschaftsminister Müller stellte überraschend in Aussicht, den von der Industrie freiwillig vereinbarten Wettbewerbsregeln Gesetzeskraft zu geben. Einen entsprechenden Vorschlag will er in den nächsten Wochen den Regierungsfraktionen machen.

Fest steht: Die Liberalisierung ist noch nicht am Ziel. So haben nach Erhebungen des Energieberaters Klaus-Dieter Maier erst ganze vier Prozent der deutschen Haushalte ihren Anbieter gewechselt. Zwar sei der Markt mit 37,5 Millionen Haushalten attraktiv. Maier: „Das Wechseln aber noch nicht.“