Ehrlicher durchs Leben

Peter Sodann, 65, spielt seit mittlerweile zehn Jahren den sächsischen „Tatort“-Kommissar.Auch außerhalb des Fernsehens ist Gerechtigkeit das Hauptanliegen des „betenden Kommunisten“

„Beim ,Tatort‘ gibt es zu wenig ausdem unteren sozialen Milieu“

von GUNNAR LEUE

Bruno Ehrlicher sei einer der unsympathischsten „Tatort“-Kommissare, liest man auf einer Internetseite von Krimifans, die mit einer Persönlichkeitsanalyse aller „Tatort“-Ermittler aufwartet. Besondere Erwähnung findet dort die Tatsache, dass der sächsische Kriminalist es doch tatsächlich einmal gewagt hatte, mit langen Unterhosen und Socken in einem Bett zu schlafen.

Hauptkommissar Bruno Ehrlicher, ein Mann über sechzig, ist sicher nicht unbedingt ein Charmeur, macht aber auch keine für Mordaufklärer so komischen Sachen wie spontanes Singen von alten deutschen Schlagern mit dem Kollegen, wenn gerade ein Glas Rotwein und ein Klavier in der Nähe sind. Das überließ er lieber anderen. Auch Action gibt’s nur in Kleinstdosierungen, und die bekommt sein junger Assistent Kain verabreicht.

Ehrlicher vertraut allein auf seinen Kopf, aus dem des Öfteren ein griesgrämiges Gegrummel über die Zustände dringt, die den ehemaligen DDR-Polizisten nun als sächsischen Kriminalbeamten auf Trab halten. Ehrlicher ist ein kleiner Wendegewinnler, der nicht so richtig weiß, was er von all dem halten soll, was jetzt um ihn herum geschieht. Einer, dem der nahtlose Übergang von den alten zu den neuen Ungerechtigkeiten zwar erheblich zu schaffen macht, der sich aber trotzdem nicht in Zynismus flüchtet. Ehrlicher und Kain ermitteln seit zehn Jahren so unspektakulär, dass es nur logisch war, die Schauspieler Peter Sodann und Bernd Michael Lade für ihre Rollen zu Ehrenkommissaren der sächsischen Polizei zu ernennen. „Bei uns gibt es ja nicht so ein Gemetzel wie in anderen Krimis“, sagt der 65-jährige Sodann.

„Ich wüsste auch nicht, warum ich mit vorgestreckter Pistole fortwährend von einem Zimmer zum anderen rennen soll. Natürlich hätte auch mein Sender gern mal mehr Action von mir gesehen, aber das lehne ich ab.“ Die Realität der echten Ermittlertätigkeit sieht nun einmal so aus, dass eher selten wild rumgeballert und noch viel seltener Swingmusik geträllert wird.

Bei Ehrlicher ist der Name Programm: der kleine Mann und das Meer der Ungerechtigkeit. Eine Frau hat ihn mal um Schutz vor ihrem prügelnden Ehemann gebeten – nicht im Film, sondern im richtigen Leben. Peter Sodann kann sich darüber zwar wundern, aber wenn Fernsehen so etwas bewirken kann, dann hat er, der Theatermann, für das ansonsten sehr trashhaltige Medium durchaus Sympathie. Leider gebe es in der „Tatort“-Reihe viel zu wenige Geschichten, „die im unteren sozialen Milieu spielen, wo zum Beispiel Arbeitslosigkeit ein Dauerzustand ist. Gerade dort gibt es viele Straftaten, die aus Dummheit, Unbildung und aus Verzweiflung passieren, weil die Betreffenden nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen.“

Er findet es bedauerlich, dass man „im Großen und Ganzen dazu neigt, im Milieu der Reichen und Schönen zu ermitteln“. Peter Sodann, 1936 in Meißen geboren, stammt aus einfachen Verhältnissen und hat Werkzeugmacher gelernt. In Leipzig begann er zunächst ein Jurastudium, weil er „studierter Bürgermeister“ werden wollte. Dann erlernte er die Schauspielkunst.

Für die Gerechtigkeit und eine bessere Gesellschaft wollte er so oder so etwas tun. Als er in diesem Sinne in einem Studentenkabarett ein paar Witze über die Planwirtschaftsflops der DDR riss, brachte ihm das freilich mehr als nur Ärger. Sodann landete 1961 „wegen staatsfeindlicher Hetze“ für neun Monate im Gefängnis, davon sechs Monate in Einzelhaft. Die konnte dem Mann freilich nicht seine Ideale aus dem Kopf treiben, für die er immer noch auf die Straße geht.

An jedem 1. Mai organisiert er eine eigene Demo samt Kundgebung vor dem Neuen Theater in Halle/Saale, das er zu DDR-Zeiten wesentlich mit erbaut hat und dessen Intendant er bis heute ist. Das erste Mal veranstaltete er die Demo 1990 als eine Persiflage auf die offiziellen Demos zuvor in der DDR. Inzwischen wurde die Maiparade zu einer Tradition.

Zuletzt waren es dreitausend Leute, die vom Theater aus einmal ums Karree marschierten. Dann hielt der Intendant eine Rede, warum der 1. Mai als Feiertag überhaupt entstanden ist, und es gab ein paar Lieder. „Das ist keine Kunstaktion, sondern da kommen ganz normale Hallenser“, sagt Peter Sodann, der in seinem Theater auch eine Bibliothek errichtet mit sämtlichen in der DDR verlegten Büchern, die sonst weggeschmissen worden wären. Sechzigtausend sind bereits katalogisiert. Sodann möchte, dass „unsere Enkel nachlesen können, was wir gemacht haben“.

Aus diesem Grund hält er auch die Stasiakten für erhaltenswert, von denen sich etliche auch seinem Leben widmeten. Dass die Erinnerung daran nicht seinen Glauben an eine sozialistische Zukunft beeinträchtigt hat, verwundert Außenstehende immer wieder. Das Wort Glaube trifft es tatsächlich gut, nennt er sich doch einen „betenden Kommunisten“.

In seinen Träumen von einer besseren Welt kommt immerhin noch die Polizei vor, weil er weiß, dass „weder alle Menschen gleich noch gleich gut sind“. Dennoch könne man sich ja eine andere Welt erträumen. Peter Sodann erträumt sich eine, „die garantiert nicht solche gravierenden Unterschiede zwischen Reich und Arm besitzt, wie wir sie haben“. Er findet, darüber sollte man sich Gedanken machen.

Warum nicht auch sonntagabends im Fernsehsessel beim „Tatort“-Gucken? Dieses Mal geht’s um die Pharmaindustrie – ein klassischer Fall, wie Gut und Böse zusammenpassen.

Am Sonntag läuft um 20.15 Uhr in der ARD die Folge „Todesfahrt“