In den Bankrott subventioniert

Renate Künast will die Agrarwende. Doch werden die kleinen Bauern sie überleben?

Die meisten Betriebe sind Nebenerwerbshöfe. Aber sie tauchen im Agrarberichtkaum auf

Im letzten Jahr sei der Absatz der Bioprodukte um 30 Prozent gestiegen – wird auf der Grünen Woche behauptet – und er soll durch staatliche Förderung weiter gesteigert werden. Nun soll, wie Landwirtschaftsministerin Renate Künast ankündigt, aber auch die bäuerliche Landwirtschaft, die nichtindustrielle Familienlandwirtschaft, verstärkt unterstützt werden. Ob sich beide Ziele unter einen Hut bringen lassen, bezweifeln viele, allen voran die Biobauern auf ihren meist kleineren Höfen. Solange die Gesamtstrukturen der Agrarförderung unverändert bleiben, besteht die Gefahr, dass eine zusätzliche Förderung von Bioprodukten nun auch die kleineren Bauern des Ökosektors in den Bankrott treibt – dorthin, wo viele konventionelle Familienbetriebe schon längst sind.

Bisher lässt die rot-grüne Politik nämlich zu, dass landwirtschaftliche Großbetriebe über 50 Prozent ihres Einkommens aus Brüssel beziehen, während kleine BiobäuerInnen nur 10 Prozent ihrer Einnahmen über Subventionen erhalten. In der ehemaligen DDR ist es besonders extrem, wie der Deutsche Bauernbund, der Verband der ostdeutschen Einzelbauern, herausbekommen hat. Die ostdeutschen Großbetriebe verdienen oft nur 30 Prozent ihres Einkommens auf dem Markt, die restlichen 70 Prozent „erwirtschaften“ sie durch staatliche Gelder. Eine Art Rückfall in das ostelbische Junkertum des Kaiserreiches, als Rittergüter – von Intellektuellen wie Max Weber kritisiert – entgegen aller Vernunft staatlich massiv subventioniert wurden.

Dabei hätte die rot-grüne Politik durchaus eingreifen können, denn nicht alles Geld kommt aus Brüssel. So setzen die Agrar-GmbHs wie die Baubranche ihre Arbeitskräfte im Winter offiziell frei, um sie über die Bundesanstalt für Arbeit auf Kosten der Allgemeinheit finanzieren zu lassen. Kleinere Höfe (in Ostdeutschland sind das auch Betriebe mit 100 Hektar im Gegensatz zu den mittelgroßen Höfen des Westens, die zwischen 20 und 60 Hektar haben) können das nicht, weil sie fast nie mehrere Angestellte bezahlen können. LPG-Nachfolgebetriebe beziehen zudem indirekt Staatsgelder, indem sie SAM-Stellen schaffen, die zu 80 Prozent vom Arbeitsamt subventioniert werden. Für kleine Höfe lohnt sich der Verwaltungsaufwand dafür meist nicht, und allzu oft haben sie auch nicht die 20 Prozent Eigenanteil übrig.

Bäuerliche Landwirtschaft wird jedoch nicht nur durch die deutsche Politik benachteiligt. Sämtliche Hygieneverordnungen aus Brüssel gehen auf Kosten der kleineren Höfe. Für sie stellen etwa zusätzliche Zäune in einem Tierseuchengebiet erhebliche Kosten dar – vom Arbeitsaufwand ganz abgesehen. Ein Großbetrieb kann den durch neue Hygienebestimmungen entstehenden Papierkrieg relativ leicht verschmerzen. Ein Kleinbetrieb kaum noch. Infektionsgefahren gehen jedoch selten von den kleinen Höfen aus. Krank werden die Tiere in den Massenbetrieben, unter dem Stress unmenschlicher Haltebedingungen. Die Politik muss da zu spezifizieren verstehen, will man weitere Arbeitslosigkeit auf dem Lande verhindern.

90 Prozent der Frauen auf den ostdeutschen Dörfern sind erwerbslos; viele wandern ab. Ganze Regionen, etwa im Nordosten Deutschlands, veröden. Dennoch werden Arbeitsplätze auf dem Lande nicht für voll genommen. Vor allem dann nicht, wenn es sich um Nebenerwerbshöfe handelt, wo einer der beiden Partner einem Beruf außerhalb der Landwirtschaft nachgeht – wo beispielsweise er den Hof macht, während sie als Lehrerin oder als Pfarrerin arbeitet. Häufiger ist: Er geht arbeiten, und sie macht den Hof. Abends und am Wochenende hilft er ihr. „Mondscheinbauern“ hieß dies früher im „Ländle“, wo die Tradition der Nebenerwerbsbauern infolge der Realerbteilung mit am ältesten ist.

In der Bundesrepublik werden heute 60 Prozent aller Höfe als Nebenerwerbsbetriebe geführt. Im letzten Agrarbericht der Bundesregierung werden sie aber nur auf einer einzigen Seite abgehandelt. Lediglich der Teil dieser Höfe, genau 37 Prozent, die ein „Standardeinkommen“ von über 5.000 Mark im Monat beziehen, werden genauer berücksichtigt.

Das Einkommen der meisten Nebenerwerbshöfe dürfte tatsächlich oft bei nur etwa 1.000 Mark im Monat liegen. Angesichts der Massenarbeitslosigkeit ist das aber nicht nichts! Diese Höfe sorgen in geografisch und strukturell benachteiligten Gebieten dafür, dass dort überhaupt flächendeckend Landwirtschaft getrieben wird.

Doch die Option der Agrarpolitik war und ist der durchrationalisierte Vollerwerbsbetrieb. Während es im gewöhnlichen Leben in Europa schon lange normal ist, dass Ehepartner verschiedenen Berufen nachgehen, und niemand auf die Idee kommen würde, eine Frau zu drängen, nun auch etwa Förster zu werden, weil ihr werter Herr Gemahl Förster ist, ist das in der Landwirtschaft anders. Hier wird immer noch das Traumbild von der „bäuerlichen Familienlandwirtschaft“ hochgehalten: Der Hof ist auf den Mann eingetragen, ihm gehört der Betrieb, er entscheidet und „führt“ den Hof. Und sie darf als „mithelfende Familienangehörige“ unsichtbar mitarbeiten. Lohn kriegt sie keinen, Rente erst neuerdings und auch nur minimal.

Ostdeutsche Großbetriebe „erwirtschaften“ 70 Prozent ihres Einkommens über Subventionen

Vor 1907 hatte die Statistik noch nicht einmal die „mithelfende“ Bäuerin bemerkt. Als die damalige Frauenbewegung der Sache genauer auf den Grund ging, stellte sie fest, dass schon damals und entgegen aller Ideologie über 50 Prozent der Bauernhöfe von Frauen geführt wurden. Das hat sich europaweit nicht sehr geändert. In Österreich sind heute etwa 60 Prozent der Höfe von Frauen geführte Nebenerwerbsbetriebe. 20 Kühe in malerischer Lage, zweites Standbein Tourismus. Die Männer arbeiten bei der Bahn, im Straßenbau oder an der Uni.

Betrachten wir die bisherige deutsche Agrarpolitik, lässt sich eine dreifache Ignoranz feststellen. Ignoriert wurden die Nebenerwerbsbetriebe, die Bäuerinnen sowie die strukturelle Benachteiligung von Kleinbetrieben. Es ist daher ganz richtig, dass Renate Künast neue Wege gehen will – aber wie? Denn derzeit besteht die Gefahr, dass die verstärkte Förderung von Ökoprodukten sinkende Erzeugerpreise ermöglicht. Großbetriebe werden das verschmerzen können, die kleinen und mittleren Bauern in den Ruin getrieben, die sich – schon um ökonomisch zu überleben – in die Ökonische geflüchtet haben. Dort konnten sie bislang den Marktverzerrungen durch die Agrarpolitik entkommen, doch nun droht ihnen durch staatlich gefördertes Preisdumping das Aus. Zurück bleiben die hoch subventionierten Großbetriebe.

E. MEYER-RENSCHHAUSEN