Blitz im Mondfeld

MTV und Videospiele vor Erdkrumen und Ackerfurchen: Die Galerie Springer und Winkler zeigt Arbeiten des aus Polen stammenden Malers Leon Tarasewicz, der ländliche Bodenständigkeit und moderne Maltradition miteinander vereint

Eruptive Farbfelder gemahnen an grenzenlose Landschaften, pralles Rot provoziert die Assoziation an zitternde Hahnenschweife

Leon Tarasewicz ist ein polnischer Künstler. Zwar wäre seine Nationalität an sich nicht weiter erwähnenswert, denn schließlich mixen Kunstschauen wie die Biennale in Venedig oder die Kasseler Documenta ein Potpouri aus aller Herren Länder zusammen – wobei die kulturellen Besonderheiten sich hierbei häufig verwischen. Aber Tarasewicz ist nun einmal nicht irgendein Künstler, sondern ausdrücklich ein Maler aus Polen. Das Land hat ihn geprägt. Und deshalb gestaltete er ganz offiziell den Pavillon bei der letztjährigen Biennale von Venedig.

Eigentlich hatte er vor, die Markussäule mit Streifen zu versehen, aber das ging nicht, die Stadt stellte sich quer. So beschränkte er sich darauf, den zur Verfügung gestellten Raum in ein Feld aus gelben, roten und blauen Linien zu verwandeln. Und siehe da, die nun zur Rauminstallation geronnenen Pigmentbahnen gerieten zu einem Statement. Tarasewicz lieferte eine Stellungnahme ebenso über den gegenwärtigen Stand der Dinge in der Farbfeldmalerei wie auch zur Bodenhaftung des Künstlers. Denn der Pole weiß zwar sehr wohl um die Dominanz der elektronischen Medien im globalen Kunst-Dorf, lässt sich davon in seiner grundsoliden Arbeit aber nicht verwirren. „Tarasewicz ist ein richtiger Arbeiter“, schwärmt auch Tina Vlachy von der Galerie Struppe & Winkler. Die Galeristin beobachtete die Enstehung eines halbmeterhohen Farbmeeres in ihrem Ausstellungsraum.

Eine Woche benötigte der Künstler, um die verschiedenen Schichten seiner Installation aufeinander zu stapeln. Entstanden ist ein raumgreifender Kasten, aus dem ein gerinnender Brei zu fließen scheint. Zwischen den Ritzen des Bretterverschlages quetscht sich das Orange heraus, auf der begehbaren Oberfläche vermischen sich die Farbbahnen zu dicken Schlieren. Hier gewinnt die Farbe ihr Eigenleben zurück, stellt keine Behauptungen auf, sondern präsentiert sich als reines Material. Die brodelnden, großflächigen Installationen mit immer wieder lavagleich hervorquellenden Strömen sind eine Komponente in Tarasewicz’ Werk. Eine andere ist seine Beschäftigung mit dem Licht. Das fasst er mit Streifen, die platzgreifend Räume einnehmen oder Säulen umspannen.

Damit ist Tarasewicz auf der Höhe der Zeit und vereint ländliche Bodenständigkeit und moderne Maltradition. Zwar studierte der 1957 geborene Maler in Warschau, geprägt aber hat ihn die Landschaft um Stacja Waliły im Nordosten Polens. „Dort kommt er her und da lebt er auch heute wieder“, bemerkt Tina Vlachy. Die sich endlos hinziehenden Ackerfurchen und das karge Landleben vor Augen entwickelte Tarasewicz eine Malerei, bei der Anklänge an bekannte Positionen deutlich erkennbar sind. Dennoch gewinnen seine Bilder und Installationen durch die von ihm entwickelte Farbmischung aus Beton, Mörtel und Pigment ein Eigenleben. Eruptiv aufgebrochene Farbfelder gemahnen an grenzenlose Landschaften, pralles Rot provoziert die Assoziation an den zitternden Hahnenschweif des Dorf-Gockels.

Dabei weisen die Arbeiten Tarasewicz’ weit über einem antiquierten Romantizismus hinaus. Schließlich verbringt der Künstler nur einen Teil seines Lebens in den Weiten Polens, bereist aber auch die Metropolen und internationalen Events. Vor der dort stets aufdringlich flackernden Video- und Leuchttafel-Ästhetik verschließt er sich nicht. Schnurgerade abgeteilte Flächen auf seinen Bildern erinnern an Split-Screens und disparate Farb-Orgien in MTV-Videos. Aber auch hier verbleibt die Erinnerung an Erdkrumen und Naturschauspiel. Das nicht restlos beherrschbare Malverfahren schafft dabei eine Materialität des Zufalls, die auch für Illusionen offen ist: „Ich sehe dort immer ein Mondfeld mit einem Blitz“, gesteht die Galeristin angesichts einer züngelnden gelben Linie in blauem Untergrund.

RICHARD RABENSAAT

Bis Ende Februar, Di–Fr 10–13/14.30–19, Sa 11–15 Uhr, Galerie Springer & Winkler, Fasanenstr. 13, Charlottenburg