Widerstandsforscher und Wortakrobat

Der Dichter und Liedermacher Wolf Biermann und sein Freund, der Historiker Arno Lustiger, erhielten am Donnerstagabend im Jüdischen Gemeindezentrum den Heinz-Galinski-Preis. Sie verbindet die Arbeit am „Großen Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk“ Jitzchak Katzenelsons

von PHILIPP GESSLER

Er blieb erstaunlich lange still. Der Dichter und Liedermacher Wolf Biermann drückte sich fast etwas linkisch vor der Bühne rum. Endlich betrat er sie, zog die schwarze Lederjacke aus und setzte sich auf einen Hocker. Schon das Aufkrempeln seiner Ärmel hatte etwas Theatralisches. Dann zupfte er auf seiner Gitarre – und schon nach den ersten Akkorden und einem brummenden „tralala“ aus der Tiefe seiner Kehle war er da: der Zauber des eitlen Magiers der Klänge und Wörter. Die Dankesrede eines Meisters der Sprache.

Biermann bedankte sich auf diese Weise für eine Ehrung, die er mit seinem Freund, dem Unternehmer und Historiker Arno Lustiger, am Donnerstagabend im Jüdischen Gemeindezentrum an der Fasanenstraße erhielt: den Heinz-Galinski-Preis der gleichnamigen Stiftung, die von der Gemeinde in Erinnerung an ihren langjährigen Vorsitzenden geschaffen wurde.

Der Preis, den bisher unter anderem Siegfried Lenz, Lea Rosh und Richard von Weizsäcker bekamen, ehrt Persönlichkeiten, die durch ihr Wirken die Religion, die Toleranz, die Bildung oder den Gedanken der Völkerverständigung gefördert haben. Biermann und Lustiger erhielten die mit jeweils 6.500 Euro dotierte Auszeichnung für ihre Lebenswerke, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Während Biermann sich immer vor großem Publikum zuerst am DDR-Regime, dann an der Bundesrepublik mit seinen Liedern, Gedichten und Essays abarbeitete, wirkte Lustiger lange Zeit fernab des öffentlichen Interesses.

Als Überlebender von Auschwitz und zweier Todesmärsche entdeckte Lustiger erst spät seine Mission: die Legende zu widerlegen, die Juden hätten sich in der NS-Zeit von den Nazis widerstandslos hinschlachten lassen. Als Privatgelehrter hat Lustiger – übrigens ein Cousin des auch anwesenden Pariser Kardinals Jean-Marie Lustiger – sich seit 1989 einen Ruf als herausragender Kenner des jüdischen Widerstands in der Nazizeit erarbeitet.

Diese Arbeit war es, die Biermann und Lustiger schließlich verband: Der Widerstandsforscher bat den Wortakrobaten, zunächst einen Teil des „Großen Gesangs vom ausgerotteten jüdischen Volk“ des polnischen Dichters Jitzchak Katzenelson vom Jiddischen ins Deutsche zu übertragen. Lustiger beschäftigte sich mit der phonetischen Transkription des Werkes, das die Deutschen wegen der Schoah bitter anklagt – und Rache schwört.

Die Laudatoren, WDR-Intendant Fritz Pleitgen und Gemeindechef Alexander Brenner, zitierten auch diese harschen Passagen von Katzenelsons Dichtung. Passend für die Freunde Biermann und Lustiger, deren Lebenswerk die gleichen Attribute verdient wie der „Große Gesang“: mutig, störend, bleibend.