Regeln für den Preußenpark

Wo war die Vision? Die Kommission „Historische Mitte Berlin“ beendet nach einem Jahr ihre Arbeit. Vorgelegt hat sie klare Empfehlungen zur Nutzung des Ortes und den umstrittenen Schlossnachbau

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Seien wir doch mal ehrlich. Haben wir uns wirklich große Hoffnungen gemacht, dass die Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ die Stadt mit einer unvorhergesehenen Empfehlung überraschen wird? Dass sie nach den Beratungen mit kuriosen Zwischenstufen über Konzept, Nutzung, Architektur und Finanzierung für den Schlossplatz etwas Neues darlegen könnte, wie es etwa der Entwurf für das Centre Pompidou im Paris der 70er-Jahre gewesen war? Oder dass das Gremium internationaler Fachleute und Berliner Lokalgrößen sich nicht hauptsächlich mit dem Thema der historischen Rekonstruktion des Stadtschlosses befassen würde? Wohl kaum.

„Was die internationale Expertenkommission als Empfehlung verkündete, war von Insidern genau so erwartet worden“, urteilt der Architekturkritiker Peter Rumpf in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift Bauwelt: der Wiederaufbau der Barockfassaden in wesentlichen Teilen, eine kulturelle Nutzung und die vornehmlich öffentliche Finanzierung. Heute, am Ende der Fachgespräche, so sieht es aus, ist man nur etwas weiter, als man schon vor einem Jahr gewesen ist: bei einem Kompromiss aus nostalgischer Geschichtsbeschwörung und funktionaler Gegenwartsnutzung.

Doch man täte der Runde aus 17 Mitgliedern, darunter Architekten, Historiker, Denkmalpfleger, Kulturfachleute und Politiker aus Berlin und dem Bund unter dem Vorsitz des österreichischen Europa-Abgeordneten Hannes Swoboda, die am 26. Januar 2001 ihre Arbeit aufnahm, Unrecht, das Resultat der Kommissionsarbeit auf diesen Nenner zu reduzieren. Waren die Ideen für den „Standort in der Mitte von Stadt und Staat“ auch Legion – vom Central Park bis zur Kongress- und Hotelnutzung privater Investoren –, hat sich die Kommission gleich zu Beginn ihrer Sitzungen auf eine sachliche Analyse des Ortes, seine symbolische und städtebauliche Bedeutung sowie die Notwendigkeit einer Entscheidung verabredet.

Nach der Sprengung des Berliner Stadtschlosses 1950, der Schließung des asbestverseuchten Palastes der Republik 1993 und den offenen Fragen der Nutzung sowie der Architektursprache für das Areal sollte mit den Geisterdebatten aller möglichen Begehrlichkeiten für den Ort Schluss sein.

Dem „anything goes“, wie es Bundesbauminister Kurt Bodewig anfangs noch formulierte, hat die Kommission ein Leitbild der Bebauung gegenübergestellt, das für die Lücke im Stadtbild nur evident erscheint. Zugleich verabschiedete man sich von der Vorstellung eines Geschichtssammelsuriums in Form einer Baucollage, die mehr Unentschiedenheit als Klarheit verkörpern würde.

„Ein bisschen Schloss, ein bisschen Palast und ein bisschen Neubau wird es nicht geben“, sagte Swoboda. Die Empfehlung für das Land Berlin und den Bund dürfe keinen „faulen Kompromiss“ beinhalten. Schließlich formulierte die Kommission ein deutliches Votum für die öffentliche Nutzung und Gestaltung des zentralen Raumes – für städtische und staatliche Institutionen an einem „Berliner Ort“.

So furchtlos die Kommission sich im Großen verhalten hat, so kleinlich gab man sich en detail. György Konrád, Präsident der Akademie der Künste, spricht von Mutlosigkeit vieler Experten. Die Mehrheit der Mitglieder sei nicht bereit gewesen, die Dominanz der herrschenden Rekonstruktionsbilder – und sei es nur für einen Augenblick – zu vergessen. „Harte Gegenpositionen, Schloss-Alternativen“, mahnte auch Jury-Teilnehmer Thomas Krüger, habe es kaum gegeben.

Den „Sündenfall“ datiert Konrád im Sommer, als das Gremium der „Versuchung“ nicht widerstanden habe, die Innenstadt mit einem traditionellen Programm und einem Schloss zu überziehen, statt seine Bedeutung für die Zukunft zu denken. Man kann es auch weniger biblisch sagen: Die Kommission „Historische Mitte Berlin“ übte sich in Pragmatismus. Den Sprung in eine bauliche und kulturelle Dimension des 21. Jahrhunderts, die sich das Kommissionsmitglied Peter Conradi, Chef der Bundesarchitektenkammer wünschte, wagte sie nicht.

Die Entscheidung etwa, den Ort für die außereuropäischen Sammlungen der Berliner Museen, als Bibliothek und für zentrale Veranstaltungen zu nutzen, ist dafür ein Beispiel. Geht doch der Beschluss auf einen Vorschlag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) zurück, die sich die Stadtmitte samt Museumsinsel als preußisch-bildungsbürgerliches Ausstellungsareal wünscht. Zu Recht kritisierte damals die Baustadträtin von Mitte, Dorothee Dubrau, die „monofunktionale Nutzung als Kulturraum“, der andere, urbane Strukturen nicht zulasse.

Die Leidenschaft, mit der die Stiftung ihre Interessen vortrug, mag die Experten beeindruckt haben. Infiziert mit dem Preußen-Virus hat diese eine andere Sache: Angesichts nationaler Identitätsdefizite und dem Noch-Fehlen europäischer Gesten erscheinen die Rückbesinnung auf den Preußenpark und die Konstituierung der „globalen Bildungslandschaft in der Mitte Berlins“ im Sinne der Aufklärung des 19. Jahrhunderts nur konsequent, so Peter-Klaus Schuster, Direktor der Staatlichen Museen.

Ebenso rückwärtsgewandt-pragmatisch ist auch die Empfehlung, dass das „Schloss in seiner baulichen Gestalt unmittelbar vor seiner Zerstörung“ wiederhergestellt werden soll. Es sei eine „nationale Aufgabe“, sagte Swoboda, am historischen Ort die West-, Nord- und Südfassade wieder aufzubauen. Bilde doch die Kopie die richtige Antwort auf den Verlust eines politischen und künstlerischen Symbols und biete die beste Lösung der „Stadtreparatur“ – deren Methode wohl nur mit den Regeln historisierender Rekonstruktion funktioniert.

Ob das Schloss realisiert wird, bleibt selbst nach dem Ende und den Empfehlung der Kommission „Historische Mitte Berlin“ offen. Rund 700 Millionen Euro würde der kunsthandwerkliche Bau kosten. Zudem hat die neue SPD/PDS-Regierung signalisiert, einen Bauwettbewerb auszuloben und will – wie von einigen Kommissionsmitgliedern gefordert – der modernen Architektur eine Chance geben.

Gerade damit könnte das folgenschwere Verdikt der Kommission, der moderen Architektur abzuschwören, revidiert werden. Denn die Empfehlung, urteilt Peter Rumpf nun zu Recht, bedeute nicht nur eine „Absage an Gegenwart und Zukunft“. Sie sei zugleich ein Urteil über die „Gestaltungsfähigkeit heutiger Architektur, eine Misstrauenserklärung an die lebenden Architekten. Ihnen wird weniger zugetraut als den Kopisten.“