Die Doku-Soap vom Lerchenberg

Nach der zweiten Runde sind alle k. o., einen neuen Intendanten hat das ZDF aber trotzdem nicht. Jetzt ist Pause bis zum 8. März. Die Fernsehräte trösten sich damit, dass der letzte württembergische Landesbischof im 11. Durchgang gewählt wurde

aus Mainz ALEXANDER KÜHN

Vielleicht hätte man sie alle einsperren sollen. Ohne gebührenfinanzierten Schnittchen und Süppchen. Bis weißer Rauch aufsteigt: Auch der zweite Versuch, den Intendanten zu küren, ging in die Hose. Am 8. März wollen die 77 Damen und Herren Fernsehräte sich nun erneut auf dem Lerchenberg einfinden. Denn bis Mitternacht des 14. März muss ein neuer Chef gefunden sein.

Es zeugt schon von Kühnheit, dass das ZDF gestern für 10.30 Uhr zur Pressekonferenz geladen hat – wo die Fernsehratssitzung gerade mal für 9 Uhr angesetzt ist, sich aber um eine Stunde verschiebt. Zur geplanten Zeit sitzen die Mitglieder noch im schwarzen und roten Freundeskreis beisammen. Am Vorabend sind sie nicht zu Potte gekommen. „Die sind alle platt“, spottet ZDF-Sprecher Walter Kehr vor der Sitzung über die ratlosen Räte. Und wer von Chaos spricht, den belehrt er: Das Chaos herrsche nicht beim ZDF, „sondern in Berlin, München und Düsseldorf“.

Offener Ausgang

Casino heißt das Gebäude, in dem getagt wird – was beim ZDF eigentlich nichts mit Roulette und offenem Ausgang zu tun hat, sondern mit Kantine. Eine Mitarbeiterin des „Heute-Journals“ sorgt sich um den Ruf des Hauses, während ein Kollege von der schreibenden Zunft schwärmt, wie toll und elektrisierend er die Ratlosigkeit findet.

Kurz nach zehn beginnt die Sitzung, in der nur noch ein Kandidat zur Wahl steht: 3sat-Chef Gottfried Langenstein, vorgeschlagen von CSU-Mann Wilfried Scharnagel, dem Chef des Unions-Freundeskreises. Die ersten Räte schreiten zur Wahl – doch halt, stop, zurück, alles ungültig: Die Optionen „Nein“ und „Enthaltung“ fehlen auf den Stimmzetteln. Alles noch mal von vorn. Aber erst mal Pause.

Eine riesige Traube schart sich um den thüringischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (CDU), der einen Vortrag hält über Rundfunkpolitik im Allgemeinen und erklärt, Helmut Reitze könnte seit Dezember designierter Intendant sein – wenn, ja wenn es nicht einer Dreifünftelmehrheit bedürfe. Sein Mainzer Kollege Kurt Beck (SPD) steht in der Ecke und versucht, per Handy seine Staatskanzlei zu erreichen. Niemand da. „Nicht mal das klappt heute“, kommentiert er. Und macht seinem Ärger Luft: Eine „südlich von hier angesiedelte Partei“ habe in den vergangenen Tagen einen solchen Einfluss auf die Wahl ausgeübt, schimpft er, dass er für Vier-Augen-Gespräche jetzt nicht mehr zur Verfügung stehe. Gottfried Langenstein sei von seinem eigenen Freundeskreis beschädigt worden. Eine „feindliche Übernahme eines Unternehmens“ sei das, jawoll.

Wilfried Scharnagel dementiert indes, dass es einen bayrischen Vorstoß gegeben habe: „Unser Ministerpräsident habt derzeit mehr mit der Kanzlerkandidatur zu tun als mit der I-Frage.“ Becks Verdruss im eigenen Freundeskreis habe womöglich dessen Erinnerung verwirrt, mutmaßte Scharnagel. Ein paar Meter weiter löffelt Michel Friedmann seine Gemüsesuppe und doziert: „Ob CSU oder SPD – das ist doch alles dasselbe Spiel.“

Zehn nach elf beginnt die Wahl. 47 Stimmen wären notwendig – Gottfried Langenstein bekommt 36 von 72. Ein schwarzes und vier rote der insgesamt 77 Mitglieder fehlen. Mittagspause. Ratlosigkeit. Die Findungskommission tagt mal wieder, danach die Freundeskreise, um 14 Uhr schließlich wieder das Plenum. Ergebnis: Einen zweiten Wahlgang soll es an diesem Tag nicht geben.

Reitze tritt ab

Für den dritten Versuch bleibe mindestens Markus Schächter im Rennen, verkündet Fernsehrats-Chef Konrad Kraske, Helmut Reitze (von dem eh nicht mehr die Rede war) stehe nicht mehr zur Verfügung. Und ohne dass jemand danach gefragt hätte, erklärte Kraske, dass der letzte württembergische Landesbischof auch erst im elften Durchgang gewählt worden sei.

Die wohl gültigste Bewertung des gestrigen Szenarios stammt von keinem Geringeren als Dieter Stolte selbst. In visionärer Voraussicht hieß es bereits Anfang Dezember in seinem Positionspapier zur Zukunft des Senders: „Das ZDF hat in den deutschen Fernsehmarkt das Genre der Doku-Soap eingeführt.“