Alternative Superheldin

Kinogrößen gelingen selten TV-Erfolge. „Titanic“-Regisseur James Cameron macht mit „Dark Angel“ eine Ausnahme. Seine Fahrradkurierin Max ist das Gegenstück zur „Tomb-Raider“-Springmaus

Wer erinnert sich noch an Steven Spielbergs Plankton-und-Algen-Debakel „SeaQuest“?

von CHRISTIAN BUSS

Einmal die Woche tritt ihnen ein Polizist die Tür ein und vermiest das Frühstück. Nachdem er ein paar Scheine kassiert hat, lässt er Max (Jessica Alba) und ihre WG-Genossen wieder in Ruhe. Hausbesetzungen sind im Seattle des Jahres 2019 so normal wie im Berlin der Achtziger. Nur das Wetter ist schlechter; es regnet zu oft. Die Wirtschaftsordnung ist zusammengebrochen, und die jungen Menschen haben sich in den Ruinen des Wohlstands zusammengerottet.

Die Fahrradkurierin Max fühlt sich eigentlich ganz wohl in diesem Ambiente, das sich zu gleichen Teilen aus den Kulissen von „Melrose Place“ und „Blade Runner“ zu speisen scheint. In der Pilotfolge zu „James Camerons Dark Angel“ darf der Zuschauer mit der alternativen Superheldin erst mal einen Zug durch deren postapokalyptische Nachbarschaft unternehmen Dabei trumpft die Frau, an der das Militär einst gewagte DNA-Rekombinationen durchgeführt hat, mit Sätzen auf wie: „Die USA sind nur noch eine weitere bankrotte Exsupermacht, die auf Almosen wartet und sich fragt, wie es dazu kommen konnte.“

Hinter diesem lässigen Pessimismus tritt allerdings eine Zukunftsvision hervor, die dem US-Publikum wahrlich bedrohlich erscheinen muss. Schließlich sind hier zwei heilige Instanzen des amerikanischen Wirtschaftssystems zerstört worden oder zumindest außer Kontrolle geraten: der Aktienmarkt und das Fernsehen. Durch einen elektronischen Impuls haben Terroristen die Börsen ausgeschaltet, und im TV unterwandern kritische Geister durch Kabelnetz-Piraterie das Meinungsmonopol der Medienoligarchie. So gesehen lieferte die Sci-Fi-Serie ein so plakatives wie schlüssiges Endzeitszenario: Der Untergang der westlichen Welt kann ja nur stattfinden in Form einer „Infocalypse“.

So jedenfalls nennt James Cameron, der das Projekt entwickelte, seine Zukunftsvision. Dass ausgerechnet der unnachgiebige Medienkritiker und HipHop-Star Chuck D von Public Enemy das Titelthema zur Serie liefert, muss da als politisches Statement gewertet werden. In „Dark Angel“ wird dem Fernsehen also übel mitgespielt. Mancher Medienschaffende deutete die Handlung schon als düstere Prophezeiung. Schließlich musste es Insidern bedenklich erscheinen, dass sich ein Blockbuster-Lieferant wie Cameron, dessen Action-Melodram „Titanic“ mehr als 200 Millionen Dollar Herstellungskosten verschlang, jetzt über die vergleichsweise schmalen Senderetats hermachte. Die Pilotfolge von „Dark Angel“ kostete den für Cameron lächerlichen Betrag von 10 Millionen Dollar (und war damit schon doppelt so teuer wie andere Projekte dieser Art). Da erschien vielen das Scheitern unausweichlich. Zumal es schon eine lange Liste von Kino-Tycoons gibt, bei denen mit dem TV-Format auch der Erfolg schrumpfte. Erinnert sich jemand an Steven Spielbergs Plankton-und-Algen-Debakel „SeaQuest DSV“?

Allen Vorhersagen zum Trotz konnte sich „Dark Angel“ durchsetzen. In den USA hat die TV-Saga fast dem Dauerbrenner „X-Files“ den Rang als beliebteste Sci-Fi-Serie abgelaufen. Was auch daran liegt, dass Cameron die Mittel des für ihn neuen Mediums richtig zu bewerten weiß: Er versucht erst gar nicht die technische Komplexität, mit denen er für „Terminator“ oder „Abyss“ futuristische Gegenwelten schuf, auf den Fernsehbildschirm zu übertragen. Dafür wird die Action-Heroine als Persönlichkeit angelegt, der man genug Entwicklungsmöglichkeiten zutraut, um den Zuschauer auch noch in der 100. Folge wach zu halten. Das sattsam bekannte Drama des im Labor gezüchteten Wesens, das trotz Strichcodes im Nacken für das Recht an einer eigenen Geschichte kämpft, erhält hier ein paar schöne neue Nuancen. Und Jessica Alba, die in den USA inzwischen als neues Rollenmodell gefeiert wird, spielt die Kampfmaschine in der Identitätskrise wirklich passabel. Sie ist keine geschichts- wie gesichtslose „Tomb-Raider“-Springmaus, sondern eine Frau beim Selbstfindungstrip. Dass sie dabei ein paar Typen vermöbelt, erscheint unausweichlich.

Pilotfilm: Sa., 22.15 Uhr, RTL, alle weiteren Folgen ab 29. 1. dienstags bei Vox