bernd müllender über Plagen
: Bekiffte Trixy in der Tasche

Die Parole heißt: Numismatiker aller Länder, vermischt euch! Denn das Euro-Bingo wird immer mehr zum Volkssport

Früher war da der gute Patenonkel: Zu jedem Geburtstag setzte es teure Gaben, die jeweils neueste schönste 10-Mark-Münze. Die Sammlung liegt jetzt unbeachtet herum. Dann wollten im letzten Moment Bücher wie „Meine letzte Mark“, mit weinrot samtgefasster Einsteckvorrichtung für persönliche Restpfennige, Groschen und Heiermänner aus Nostalgie neuen Wert schöpfen. Sie bleiben im Regal.

Das schnöde Geld, einst als eigentlich sinnvolles Hilfsmittel erdacht, damit man nicht immer direkt drei Kamele gegen dreizehn Tonnen Radieschen eintauschen musste oder Arbeitszeit gegen Blutwurst und Wohnrechte, hat plötzlich ganz autonom seinen ganz eigenen Wert bekommen. Euroland ist eurojeck. Deutschland (wahrscheinlich ganz Euro-Europa) sammelt – die neue Münze. Und man spielt komische Spiele.

Die Spanien-Weihnachtsurlauberin war schon in der Neujahrsnacht der Star: Sie hatte sich ein Starter Kit besorgt („Starter hab ich dort auf der Bank spanisch hinten betont“) und spendierte stolz ihre Cervantes-Cents. Mit den Carlos-Euro war sie am 2. 1. gleich zum Media Markt gerannt, hatte ein Kleinstteil erstanden und der nervlich bereits angeschlagenen Kassendame („Zahlen Sie in D-Mark oder Euro?“) mitgeteilt, sie wolle, spanisch ausgesprochen, „in E-u-ro zahlen“. – „In was???“ – „E-u-ro. Tja, manchmal ist in der Geldbörse mehr drin, als man glaubt. Haha.“

Erste Überraschungsfunde („Guck mal, a Mozart-Euro“) haben ein Virus ausgelöst: Man sammelt ausländische Neumünzen. „Ich hab schon den Portugiesen“, sagt Gerda stolz. Der Gyrosbräter an der Ecke wird nach griechischem Wechselgeld gefragt: „Kein Eulen-Euro da?“ Zur Pizza möchte man da – Giovanni, prego! – einen frisch geprägten Lire-Nachfolger gelegt sehen. Uli kriegt für die Geschäftsreise nach Luxemburg (klein, selten!) mehrere Souveniraufträge. Josi sagt: „Ich würd so gern im Supermarkt in der Wechselkasse wühlen. Was da alles drin sein mag.“ Katrin: „Ich dreh jede Münze um!“

Es gilt den Sammelwütigen nur Zufallserwerb, kein Kauf. Sehr demokratisch das.

Jo hat den schönsten Coup gelandet: als Deutscher mit Wohnsitz Belgien beim Tanken in Frankreich einen spanischen Euro retour bekommen. Chapeau! Bernd erlebt das Gegenteil: Kauft in Belgien und kommt mit deutschen Euros zurück. Paare prickeln sich derweil per Wettlauf die Langeweile aus der Ehe: „Ich hab schon sechs Länder, er hat erst fünf. Aber er hat Irland. Und er sagt nicht, woher, der Schuft.“ Singles angeln sich zeitgemäß vom Beziehungsmarkt: „Soll ich dir meine Eurosammlung zeigen?“ Witzig!

Dreiländerecke wie die Gegenden um Aachen, Trier, Saarbrücken sind Sammlers Glücksquartiere. In den Portmonees deutscher Holland-Anrainer haben sich schon so viele Königin Beatrixe mit den vielen Sternchen um den Kopf versammelt, dass die Besitzer bereits die Muße hatten, sich einen Spitznamen auszudenken: „die bekiffte Trixy“. Erste deutsche Währungsignoranten sollen beim Einkauf in Holland schon auf 10 Prozent Rabatt für deutsche Euros gepocht haben – wie es früher mit dem Gulden üblich war. Widerlicher Shopping-Kolonialismus, sagen die letzten überzeugten Antideutschen der Niederlande und ekeln sich vor dem moffigen Brandenburger Tor in ihrer Tasche. Wahrscheinlich sammeln sie heimlich.

Überall tauchen kuriose Geschichten auf. Kurt hat zwei ungewöhnlich dicke deutsche Fünfcentmünzen: „Fehlprägungen. Die heb ich aber auf.“ Mysteriös: Bei Münzwürfen mit belgischen Euros fiel signifikant häufiger Kopf als Zahl, etwa im Verhältnis 60:40. Metallforscher haben keine Erklärung; einer raunt, vielleicht sei „das prägnante Profil von Belgiens Königs Albert II. für die Schlagseite verantwortlich“. Ob der König selbst ein seltener, womöglich blaublutfreier Fehlmonarch ist? Sammler, sammelt alles Belgische!

Irgendwo, war zu lesen, hat eine Frau ein 2-Euro-Stück nachts im eiskalten Auto gelassen, morgens war die Münze runtergefallen und der Mittelteil rausgekullert. Sammlerwert! Bei einem Münchner Münzhändler tauchte ein Mann mit einer 2-Euro-Münze auf, der der Mittelteil seitenverkehrt eingelassen war. Ob das die blaue Mauritius unter den Münzen sei, wollte er wissen. Keine Ahnung, sagte der Händler, keine Erfahrung mit so was. Wahrscheinlich war es nur die Münze der Autofrostfrau, die diese falsch herum wieder reingefummelt und ausgegeben hatte. Aber egal: Sammeln! Aufheben! Wertanlage!

Obwohl … wenn man die Münzlinge durch Schockfrosten teilen kann und dann verschiedenländerige Euros neu zusammenfügt, könnte man wertvolle Kuriositäten selbst herstellen: Vielleicht die irische Harfe, bekifft. Oder finnische Schwäne, kopfüber im Franzosenrand. Oder Deutschland verleibt sich die Ösis ein. Also sofort der Selbstversuch: Rein mit dem 2-Euro-Ding in den Tiefkühlschrank. Stunden später die Zerstörungsattacken mit heftigen Würfen auf den harten Küchenboden, dann mit noch heftigeren auf eine Stahlplatte. Das gute Stück hielt. Keine Chance. Wie schade.

Schwer wird für alle Sammler der ferne Finne. Wann taucht dessen Nord-Euro schon mal bei uns auf? Dafür können alle Rest-Euro-Europäer den Sammellappen bemitleiden, weil der so weit von allen anderen elf entfernt ist. Aber bald schreit der Erste: „Bingo. Ich hab alle zwölf.“ Glückwunsch – aber bitte: Die zwölf gibt’s in je acht Münzen. Also weitersammeln! Und mit den vier verschiedenen Prägejahren. Und, bitte, was ist mit den Sondereuros aus dem Vatikan und Monaco (siehe Kasten)? Am Ende fehlt nur der richtige Fuffziger aus San Marino. Früher, zu Patenonkels Hoch-Zeiten, hatten die mal in Briefmarken gemacht.

PS: Hinweis an die taz-Buchhaltung: Das Honorar bitte im zwölffach gemischten Münzbeutel.

Fragen zu plagen?kolumne@taz.de