Auf der anderen Seite der Barrikade

Gesundheits- und Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) hat eine lange westlinke Vergangenheit. Jetzt steht ihre Politik zum ersten Mal im Praxistest

„Mir ist klar, dasses manchmal richtig schmerzhaftwerden wird.“„Ich neige dazu, Konflikte ziemlich schnell und heftig auszutragen.“

von SABINE AM ORDE

Eine Gipfelstürmerin ist sie nicht. Eher eine, die langsam und beharrlich eine Bergwand erklimmt. Die erst vorsichtig nach Halt sucht und dann den nächsten Schritt wagt. „Ich liebe Klettern“, sagt Heidi Knake-Werner. „Es ist zwar immer diese Grundangst da, aber wenn ich am Berg bin, will ich auch den Gipfel erreichen.“ Das, sagt die schmale 58-Jährige, der man auf den ersten Blick einen solchen Sport gar nicht zutraut, gelte für ihr Hobby, aber auch für die Politik.

Dort hat sie sich jetzt an einen neuen Berg gewagt. Seit Donnerstag ist die aus dem Westen stammende PDS-Politikerin neue Gesundheits- und Sozialsenatorin in der von sozialen Problemen arg gebeutelten Bundeshauptstadt. Und damit Chefin eines Ressorts, in dem vieles umstrukturiert und an allen Enden und Ecken gespart werden soll: bei den Krankenhäusern, den Projekten, der Sozialhilfe.

Kein Wunder, dass Heidi Knake-Werner, die Parteifreundinnen als „Überzeugungstäterin für soziale Gerechtigkeit“ beschreiben, einige Tage gezögert hat, bevor sie der Berliner PDS ihr Jawort gab. „Ich hatte hier in der Bundestagsfraktion eine wichtige Aufgabe, die ich erst vor anderthalb Jahren übernommen habe“, sagt die Frau mit den strahlend blauen Augen und dem kurzen graublondem Haar, die bislang parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion war. Sie mag ihren alten Job, die Kollegen und Mitarbeiterinnen. Und auch das Büro in der Jägerstraße, das sie so gemütlich ausstaffiert hat: mit Urlaubsfotos vom Klettern und gerahmten Kunstdrucken von Friedensreich Hundertwasser und dem sowjetischen Maler El Lissitzky, mit Marionetten, Blumen und einer Schale mit frischem Obst.

Heidi Knake-Werner stutzt einen Moment, ihre Hände spielen mit dem lilafarbenen Schal, den sie um ihren Hals geschlungen hat. „Außerdem bin ich durchaus Selbstzweiflerin“, sagt sie dann. Ihr sei schließlich klar, dass es bei dem Gesundheits- und Sozialressort um „eine Wahnsinnsaufgabe“ geht. Zugesagt habe sie schließlich, „weil ich finde, dass es richtig ist, dass die PDS hier in die Regierung geht, und weil es eine erfolgreiche Regierung werden muss“. Als Parteisoldatin will sie trotzdem nicht bezeichnet werden.

Dass sie die notwendige Kompetenz für ihren neuen Posten mitbringt, daran zweifelt Heidi Knake-Werner nicht, „auch wenn ich den Gesundheitsbereich bisher nur als interessierte Leserin kenne“. Sie könne sich schnell einarbeiten und sei ein „richtiges Arbeitstier“, sagt ihre ehemalige Chefin Petra Bläss, die heute stellvertretende Bundestagspräsidentin ist. Fachkompetenz bescheinigen der erfahrenen Sozialpolitikerin auch Kollegen aus anderen Fraktionen. „Sie kennt sich aus“, sagt der SPD-Abgeordnete Klaus Brandner, der mit Knake-Werner im Sozialausschuss des Bundestages war. „Für die PDS die beste Wahl“, urteilt die grüne Exgesundheitsministerin Andrea Fischer. Doch beide sind skeptisch, ob Knake-Werner mit ihrer „relativ starken Staatsorientierung“, wie Brandner es nennt, in Berlin als Senatorin landen kann. „Hier kann man keine Politik machen, die von Wünschen bestimmt ist“, sagt Fischer. „In Berlin ist die Verwaltung von Mangel angesagt.“

Der neuen Senatorin, die sich bislang für Positionen wie die Einführung einer sozialen Grundsicherung und gegen die privat finanzierte Riester-Rente stark gemacht hat, ist klar, dass es manchmal „richtig schmerzhaft“ werden wird. „Wenn man so will, stehe ich nun auf der anderen Seite der Barrikade.“ Das Schlimmste hofft sie mit einem anderen Politikstil abzufedern: Sie will mit den Betroffenen nach Lösungen suchen und Entscheidungen transparent machen. Ob das reicht, wenn es um die Verteilung knapper Ressourcen geht, darf bezweifelt werden. Konkreteres über ihre künftige Arbeit will Knake-Werner aber noch nicht sagen. „Ich bin doch nicht größenwahnsinnig, ich muss mir das erst einmal anschauen.“ Und die Kompetenz ihrer neuen Mitarbeiter für sich gewinnen. „Die müssen sich ja auch erst mal daran gewöhnen, dass jetzt eine PDS-Frau kommt“, sagt Knake-Werner. Zu ihren Vorstellungen nur so viel: „Wenn wir, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, 6.000 Sozialhilfeberechtigte in Arbeit bringen sollen, und zwar in tariflich bezahlte und dauerbeschäftigt, dann brauchen wir dafür eher mehr Personal als weniger.“ Dafür will sie auch mit dem Finanzsenator streiten. Ist sie für harte Auseinandersetzungen am Kabinettstisch konfliktfähig genug? Knake-Werner zieht die Augenbrauen hoch und guckt einen Moment lang an die Decke. „Ich neige dazu, Konflikte ziemlich schnell und heftig auszutragen“, sagt sie, „aber dann ist es auch wieder gut.“

Auseinandersetzungen hat Heidi Knake-Werner gelernt, in der Politik und in der Familie. Geboren ist sie 1943 in Polen, kurz nach dem Krieg zog die Familie, die später „mit der Vertriebenenbewegung verbandelt war“, nach Niedersachsen. Während der Studentenbewegung hat sie in Göttingen Sozialwissenschaften studiert. „Ich bin eine klassische 68erin“, sagt sie von sich selbst, „diese Zeit hat mein politisches Bewusstsein geprägt“. 1970 trat sie in die SPD ein, „das war die Willy-Brandt-SPD mit ‚mehr Demokratie wagen‘“. Sie war bei den Jusos aktiv und Stadträtin in Oldenburg, doch die SPD änderte sich, und das gefiel Knake-Werner nicht. Es war die Zeit der Berufsverbote und des Nato-Doppelbeschlusses, in der SPD war die Zusammenarbeit mit der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) streng untersagt. Als Knake-Werner Anfang der 80er-Jahre gemeinsam mit einem Kommunisten bei einer Veranstaltung gegen ein öffentliches Rekrutengelöbnis auftrat, wollte die SPD sie aus der Partei ausschließen. Dem kam Knake-Werner durch ihren Austritt zuvor. „Die hatten mich schon vorher spüren lassen, dass ich mit einem Kommunisten liiert war“, erzählt sie. Der Kommunist war Harald Werner, heute ihr Ehemann. Werner sitzt im Bundesvorstand der PDS. Kinder hat das Paar nicht.

„Für mich war damals klar, dass ich weiter Politik machen will“, sagt Knake-Werner. Die Grünen kamen dafür nicht in Frage. „Die waren nicht meins“, sagt sie, „da gab es ein Mentalitätsproblem.“ Persönliche Kontakte aber hatte sie in die DKP. Die besten Freundinnen, Kollegen von der Universität Oldenburg, an der sie damals promovierte, und auch ihr Mann waren in der kommunistischen Partei aktiv, „die meisten bekamen damals Berufsverbot“. Auch sie selbst, obwohl mehrmals auf Berufungslisten als Erste platziert, bekam nie einen festen Job an der Universität. „Das fällt mir auch bei Aufarbeitung von Geschichte ein“, sagt Knake-Werner, „mit diesem Teil ihrer Geschichte müsste sich die SPD befassen.“

Schließlich trat Knake-Werner selbst in die DKP ein, 1983 zog sie von Oldenburg nach Bremen und wurde hauptamtliche Mitarbeiterin des DKP-Bezirksvorstands, zuständig für Landespolitik und Öffentlichkeitsarbeit. Ihre zweite Ablösung von einer Partei begann 1987, als sie für ein Jahr lang zum „Grundlagenstudium“ an die Akademie der KPdSU geschickt wurde. Dort erlebte sie die Auseinandersetzung über die dank Gorbatschows Glasnost öffentlich zugänglichen Dokumenten über stalinistische Verfolgung. „Das war unglaublich spannend.“ An der DKP ging diese Entwicklung allerdings vorbei. Trotzdem trat Knake-Werner nach ihrer Rückkehr nicht aus der Partei aus, sondern schlug sich auf die Seite der Reformer, der so genannten Erneuerer – „bis zum Gehtnichtmehr“ im Dezember 1989. „Wir wollten die DKP verändern, aber wir haben verloren“, sagt sie. Gemeinsam mit ihren alten Genossen löste sie den Parteibezirk auf, „übergeben wollten wir ihn nicht“.

Schon im Jahr darauf wurde sie bei der PDS aktiv und schnell in den Bundesvorstand gewählt. Eine Aufarbeitung der DKP-Geschichte habe es schon gegeben, sagt Knake-Werner auf Nachfrage. „Ich habe mir viel Gedanken darüber gemacht, was wir da gemacht haben, was wir alles mit getragen haben.“ Aber sie gehöre eben nicht zu denen, „die einen Bearbeitungsprozess dadurch vollziehen, dass sie in die Kissen heulen“. Nachdem die PDS 1990 in den Bundestag eingezogen war, wurde Knake-Werner Mitarbeiterin der Abgeordneten Petra Bläss, zuständig für Soziales, Arbeit und Frauen. Bei der nächsten Wahl, als die PDS einige Westlinke über Plätze im Osten absicherten, kam Knake-Werner für die sachsen-anhaltinische PDS in den Bundestag und wurde stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Schon damals hat sie eng mit Gregor Gysi zusammengerabeitet, der jetzt als Wirtschaftssenator in Berlin auch für Arbeit und Frauen zuständig ist. Damals, erinnert sich Knake-Werner, hätten sie folgende Arbeitsteilung gehabt: „Ich weiß, worum es geht, aber du hast die besseren Formulierungen.“ So gehe das jetzt natürlich nicht mehr.

Nach der Wiederwahl in den Bundestag wählte die Fraktion sie zur arbeitsmarktpolitischen Sprecherin, sie wurde stellvertretende Vorsitzende des Arbeits-und Sozialausschusses. Damals brach Knake-Werner ihre Brücken nach Bremen ab, seitdem wohnt sie mit ihrem Mann in Prenzlauer Berg. Als im Herbst 2000 Gregor Gysi den Fraktionsvorsitz an den parlamentarischen Geschäftsführer Roland Claus abgab, übernahm Knake-Werner dessen Job.

Bei der Wahl in der Fraktion erhielt sie kein Traumergebnis, als stellvertretende Fraktionsvorsitzende einige Jahre zuvor war sie durchgefallen. „Sie ist eben eine, an der man sich reiben kann“, sagt Petra Bläss. Zur Senatorin wurde Knake-Werner vom der PDS-Landesvorstand einstimming nominiert. „So ein gutes Ergebnis hatte ich noch nie“, hat sie sich am vorigen Dienstag gefreut. Ob sie auch künftig auf so geschlossene Unterstützung zählen darf, bleibt abzuwarten. Schließlich bietet ihr Job genug Konfliktpotenzial. Und die Gefahr, dass die PDS den Ruf verliert, mit dem sie in den letzten Jahren geworben hat: die Partei für soziale Gerechtigkeit zu sein. Wenn man ganz hoch auf den Berg klettert, ist man in der Politik eben häufig allein.