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: HELMUT HÖGE über die kapitalistische Kernfamilie

Ein Zerfallsprozess und seine Schreibtischväter

In der taz tobte just ein Streit zwischen den Familienvätern Pötter und Droste – über „Schreibtischväter“: pro und contra. Inzwischen haut die Staatsmacht auf die Kacke und macht auf Plakatwänden Werbung für ihr „Basislager“ – die deutsche Kleinfamilie. Insbesondere das Familienrecht sei von „sozialethischen Leidbildern“ abhängig, erklärt der FAZ-Rezensent Milos Vec – über drei Arbeiten zur neueren Geschichte des Familienrechts.

Wobei der Bremer Zivilrechtler Peter Derleder von einer „langwierigen und unvollendeten Ablösung vom Patriarcharlismus“ spricht – seit der Durchsetzung der Zivilehe um 1900. Vermögen und Sexualität der Frau wurden weitgehend der männlichen Verfügungsgewalt unterstellt, sogar die Scheidung, bei der es meist um eine Verletzung der „männlichen Ehre“ durch die Frau ging. Die Revolution hatte zwar die Gleichberechtigung durchgesetzt, aber die Weimarer Richter lehnten den dadurch „potenzierten Individualismus“ als sozialistisch durchweg ab. Die Nazis ersetzten dann das christliche Eheideal durch ein rassistisches. Nach 1945 wurde das Ehegesetz zwar „bereinigt“, aber die Ehe als „Ordnungskern“ im Nachkriegschaos eher gefestigt. So wurde noch 1967 eine Ehefrau, statt geschieden zu werden, zu einer sexuell „möglichst authentisch gespielten Glückslüge“ gezwungen! Erst der wachsende SPD-Einfluss änderte hieran etwas: Man rückte vom Hausfrauen-Leitbild ab, und für Scheidungen wurde das „Zerrüttungsprinzip“ eingeführt. Dennoch gibt es bei der „Betreuungskompetenz“ für die Kinder und beim Unterhaltsrecht nach Derleder immer noch patriarchale Reste im Ehe- und Familienrecht. Der Freiburger Familienrechtler Rainer Frank sieht dagegen durch all die Verrechtlichungen der Familienbeziehungen vor allem die Gefahr einer Aushöhlung der Ehe. Das Umkippen begann für ihn mit dem sozialdemokratischen Nichtehelichengesetz von 1969. Damals kamen im Zuge der Studenten- und Frauenbewegung viele familienrechtliche Reformen in Gang, wobei die BRD jedoch 1998 schon wieder das Schlusslicht in Europa bildete – als sie das gemeinsame Sorgerecht für nichtverheiratete Eltern einführte.

Gleichzeitig beklagt der Autor, dass die Zulassung von „rechtsfolgenlosen Ehen“ einer Verabsolutierung der Privatautonomie gleichkomme, die das französische und das englische Recht nicht kenne. In Deutschland sei man darüber hinaus auch bei der Normierung von Sorgerechten und Sorgepflichten zu weit gegangen, wobei auch noch verrechtlichte Individualansprüche der Familienmitglieder gegeneinander hinzukämen. All dies trage den „Keim der Zerstörung“ in die Familien.

Rezensent Milos Vec erwähnt überdies noch den Jenaer Familienrechtler Dietrich Simon, der sich jüngst in einem rechthistorischen Rückblick ebenfalls gegen die weitere Verrechtlichung von Familienbeziehungen aussprach. Mit Derleder ist sich Simon zugleich einig, dass an die Stelle der klassischen Familie ein Netzwerk befristeter Sozialbeziehungen getreten sei. Auch noch das letzte „Minimum familiären Zusammenhalts“ wäre nun durch die Globalisierung bedroht. Die Zunahme von Arbeitslosigkeit und Familienlosigkeit deute auf die „Selbstaufhebungstendenz der kapitalistischen Wirtschaftsordnung“ hin. Die finanziellen Aufwendungen des Staates für Kinder reichten nicht aus, um diesem Zerfall entgegenzuwirken.

Vor diesem Befund bekommt die neueste Plakataktion der Familienministerin etwas schwer Ideologisch-Propagandistisches – Fascho-Lighthaftiges geradezu.