der kommentar: Grünes Personal wird der grünen Politik angepasst
Mit Christian Ströbele verzichten die Grünen auf den letzten prominenten Linken, den sie im Bundestag noch hatten. Eine mutige Entscheidung, die viele nicht erwartet hätten – schon gar nicht vom traditionell linken Berliner Landesverband. Doch offenbar setzt sich in der gesamten Partei die Einsicht durch, dass es erfolgversprechender ist, Personal anzubieten, das wirklich zum grünen Programm passt. Auch von den anderen sieben „Abweichlern“, die sich im Herbst gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan aussprachen, wird kaum einer wieder in den Bundestag einziehen. Einige – wie Annelie Buntenbach, Christian Simmert und Monika Knoche – haben sich freiwillig verabschiedet. Andere – wie Winfried Hermann in Baden-Württemberg – kämpfen noch gegen die Übermacht der Realos, sie werden aber wahrscheinlich ebenso verlieren wie Ströbele in Berlin. Nach vier Jahren Rot-Grün wird rigoros ausgesiebt: Nur wer die Regierungspolitik ohne Gewissensbisse verkaufen kann, darf noch mal ran.
Bei Ströbele fällt es besonders auf, weil er so laut wie kein anderer Abgeordneter für jene Grünen sprach, die in den 80er-Jahren aus dem westdeutschen alternativen Milieu und der Friedensbewegung kamen – und die schon immer Schwierigkeiten mit der Regierungsbeteiligung hatten. Keiner verstand es so gut, mit hoch gezogenen Augenbrauen zu signalisieren: Hier ist noch ein Aufrechter, der die alten grünen Werte vertritt – konsequent gegen den Krieg, kritisch zu Schilys Sicherheitspaketen. Können die Grünen es sich leisten, diese Symbolfigur aufs Altenteil zu schieben?
Wahrscheinlich ja. Denn es ist wenigstens ehrlich. Die Realpolitik hat immer dominiert. Wenn es darauf ankam, setzte sich Außenminister Joschka Fischer durch, wurden aus den acht Abweichlern plötzlich nur noch vier. Wenn es darauf ankam, wurden auch Schilys Pakete mit getragen. Die Wähler haben diesen Pragmatismus bisher honoriert: So kam bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im vergangenen Herbst die linke Splittergruppe „Regenbogen“ gerade mal auf 1,7 Prozent. Wenn die Grünen verlieren, dann nicht nach links – sondern an die SPD. Die grünen Wähler waren schon immer realpolitischer gesinnt als die grüne Basis.
Zudem haben die grünen Wähler am 22. September nur eine Alternative: Stoiber oder grüne Realos. Und da dürfte bei vielen gemäßigten Linken die Angst vor Stoiber größer sein als die Sympathie für Ströbele. LUKAS WALLRAFF
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