Grüne feiern Wiedervereinigung

Der Bürgerrechtler Werner Schulz gewinnt bei der Aufstellung der Berliner Landesliste für die Bundestagswahl überraschend gegen den Kriegsgegner Christian Ströbele und die Sozialexpertin Andrea Fischer. Sieg ist Signal an Bündnisgrüne im Osten

BERLIN taz ■ Die Grünen haben den Osten neu entdeckt, und das nur neun Jahre nachdem sich Bündnis 90 und die Grünen zu einer gemeinsamen Partei zusammengeschlossen haben. Diese Wiedervereinigung zweier fremder politischer Kulturen verdankt die Partei ausgerechnet einem Ostdeutschen. Werner Schulz, der letzte prominente DDR-Bürgerrechtler der Partei, hat am Sonnabend bei der Aufstellung der Berliner Kandidaten für die Bundestagswahl überraschend den begehrten zweiten Listenplatz gewonnen. Er gilt, so die Grünen nicht an der Fünfprozenthürde scheitern, als sicher für den Einzug in den Bundestag.

Schulz versteht seinen Sieg als ein Aufbruchsignal für alle Grünen in Ostdeutschland. „Ich stehe jetzt der gesamten Partei als Stimme des Ostens zur Verfügung“, sagte er der taz. Man könne den Grünen jetzt nicht mehr so leicht vorwerfen, eine reine Westpartei zu sein. Gerade in der Hauptstadt sei es notwendig, dass auch jemand aus dem Osten die Grünen vertrete, sagte Schulz, der seit 1990 im Bundestag sitzt. „Eine Ost-West-Metropole muss sich auch Ost-West aufstellen.“

Schulz setzte sich in einer symbolisch aufgeladenen Entscheidung gegen den Linken Hans-Christian Ströbele und die prominente Sozialpolitikerin Andrea Fischer durch. Fischer schied bereits im ersten Wahlgang aus. Im zweiten gewann Schulz mit 398 Stimmen gegen Ströbele, der auf 300 Stimmen kam. Verbraucherschutzministerin Renate Künast konnte sich die Auseinandersetzung in aller Ruhe anschauen. Sie war ohne Gegenkandidatin und mit 88 Prozent der Stimmen auf Platz eins der Berliner Landesliste gewählt worden.

Schulz hat sich bei seiner Bewerbungsrede auf der Mitgliederversammlung als der letzte prominente Vertreter des Bündnis 90 präsentiert, auf den die Partei um ihrer Existenz willen nicht verzichten dürfe. „Wir können die Wahl im Osten nicht gewinnen, wir können sie dort aber verlieren“, sagte er.

Der Sieg des ostdeutschen Bürgerrechtlers gegen den prominentesten Linken der Partei ausgerechnet im linken Berliner Landesverband gilt als eine Sensation. Sie wird auch als Hinweis auf den immer weiter schwindenden Einfluss der linken Minderheit innerhalb der Grünen gewertet. Ströbele war von seiner Niederlage so enttäuscht, dass er offen ließ, ob er wie ursprünglich geplant als Direktkandidat in Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer-Berg-Ost antritt.

Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler sieht in seinem Erfolg auch eine kämpferische Reaktion der Grünen auf die rot-rote Koalition in Berlin. „Meine Nominierung ist die Antwort auf Gregor Gysi“, sagte Schulz. „Wir saßen uns 1989 am Runden Tisch gegenüber. Es wäre für mich bitter gewesen, wenn ich die Auseinandersetzung mit ihm nicht hätte fortführen können.“ Mit ihrer Entscheidung habe die grüne Partei deutlich gemacht, dass sie bundesweit den Kampf um Platz drei im Parteiensystem nicht nur gegen die FDP, sondern auch gegen die PDS offensiv führe.

JENS KÖNIG

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