Zwiegespräche zu dritt

Große Gesten, überbordende Gefühle, volle Gläser und dann auch noch Bärte, von denen sich selbst ZZ Top und Mike Watt gern ein paar Härchen abschneiden würden: Die schottische Neo-Rock-Band Aereogramme tritt im Knaack auf

Bevor wir es womöglich vergessen, bringen wir es besser hinter uns: Bärte sind im Kommen. Gitarren und Bärte. Bei Grandaddy und auch bei der Beta Band trat jeweils nur die halbe Band mit Gesichtsmatte an, Aereogramme aber sind bereits hundertprozentig durchbehaart.

Noch hat der Urwald nicht ZZ-Top’sche Ausmaße angenommen, aber unter dem mit mächtigen Koteletten abgesicherten Sauerkohl hängen auch hier Gitarre und Bass, steht ein Schlagzeug. Aereogramme sind also auch die Rückkehr des Rock-Trios in klassischer Besetzung in der Tradition von, sagen wir mal, Mountain, Hüsker Dü und Dinosaur Jr. Auf ihren Platten versorgt sie zwar der Filmkomponist Iain Cook mit ein paar elektronischen Scherzeleien, aber auch schon von Konserve kann man hören, wie und warum die Musik der Mannen aus dem schottischen Glasgow entsteht: nämlich im Übungsraum und auf der Bühne und intuitiv.

Die Songs bleiben relativ überflüssig, sind bestenfalls Mittel zum Zweck, den großen Hit haben sie bisher nicht geschrieben und werden das auch in nächster Zeit nicht tun. Stattdessen schwillt der Lärm an und ab, werden die Kontraste zwischen Laut und Leise immer wieder neu ausformuliert, führen die Instrumente Zwiegespräche und Diskussionen zu dritt. Der Gesang ist in erster Linie eine weitere Klangfarbe, die von Flüstern bis Kreischen reicht. Wichtiger erscheint da fast der Alkoholkonsum der Band, der ähnlich episch zu sein scheint wie ihre Lieder und auf den hinzuweisen in keinem Artikel vergessen wird, spätestens seit Gitarrist, Sänger und Mastermind Craig B zugegeben hat, dass man die Peel-Session beinahe geschmissen hätte, weil man nachts zuvor zu tief ins Glas geblickt hat.

All das Postrock-Zeugs, Saufen inklusive, haben schon andere vor ihnen gemacht, vielleicht sogar besser, einige sicher auch mit grandioseren Songs ausgestattet, aber momentan sind Aereogramme in der Spitzengruppe, weil für das Genre eine unverbrauchte, naive Herangehensweise unabdinglich ist. Man darf es auch Dreistigkeit nennen, egal.

Vor allem live, ohne den elektronischen Schnickschnack entwickeln Aereogramme das Gefühlsleben ihrer Band zum voll entwickelten, breitestgefächerten Spektrum. Die musikalischen Vorlieben der drei reichen vom Death-Metal von Neurosis über den Gothic-Pop von The Mission bis zum pathetischen Pop von Depeche Mode oder Simon & Garfunkel. Einziges verbindenes Element sind die großen Gesten, das überbordende Gefühl, sei es nun Wut oder Melancholie, Hass oder Liebe. „It’s all in motion now“ singt Craig B und es klingt eher wie „emotion“.

Noch ein Wort aber zu den Bärten: Wenn im New Musical Express nur mehr US-Rockbands wie die Strokes und Black Rebel Motorcycle Club groß gehypt werden, dafür aber britische Bands so amerikanisch hinterwäldlerisch aussehen. wie amerikanische Bands das noch nie hingekriegt haben, dann läuft irgendwas falsch. Werden die Flohmärkte in Camden neuerdings von einem Holzfällerhemd-Direktimporteur aus Seattle kontrolliert? Den Euro wollten sie auf der Insel ja auch nicht haben. Da ist was im Busch.

THOMAS WINKLER

Heute, 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg