Crokobikes und Schnipseljagd

Joghurtbecher, schwarze Muskelbikes, Tourenmaschinen, Oldies, Chopper, Hubzwecken und Goldwings in Goldorange oder Azurblau-Metallic: Am Wochenende konnte man bei den 10. Berliner Motorradtagen im ICC fröhlich in die Blechwälder rennen

Jedenfalls kannte ich mich plötzlich nicht mehr aus. Ich war draußen

von ANTJE STRUBEL

Schon in der U-Bahn der Unterschied: Die Familien bogen zur Grünen Woche ab, die Männergrüppchen zogen weiter Richtung Südeingang. Als ich erzählt hatte, dass ich zu den Berliner Motorradtagen ginge, erhielt ich vorsichtig zur Antwort: „Aha. Kennst du dich denn damit aus?“

Aber auch wenn ich in den vergangenen neun Jahren nicht auf der Messe gewesen bin, nur schlappe acht Monate im Jahr und gewiss nicht bei Neuschnee Motorrad fahre und auch den obligatorischen Schrauberkurs (wird gelegentlich von einer Frauenwerkstatt im Prenzlauer Berg angeboten) geschwänzt habe, war ich zuversichtlich. Ich hatte ja die Vokabeln im Kopf. Als Joghurtbecher beispielsweise bezeichnet man Sportler-Rennmotorräder mit über 100 PS unter ihrer Haube aus Komplettplastik – eine V-max von Yamaha wiederum ist ein schwarzes Muskelbike, das jemand nach einem Stierkampf entworfen haben muss. Es sieht aus wie ein Bulle, der in ein rotes Tuch geht. Ich wusste auch, dass eine Sissibar nichts mit Romy Schneider zu tun hat. Höchstens über assoziative Umwege, die aber die Chopperfahrer nicht weiter interessieren dürften, solange ihre Damen auf dem Sozius sich nicht darüber beschweren, dass sie beim Anfahren immer gegen die Rückenlehne knallen, die jene Bezeichnung trägt.

Am Eingang neben dem Pressestand rief mir jemand zu: „Ride hard, live free.“ Ich nickte. Jetzt ging es los. In fünf Hallen glänzten neue Modelle von Tourenmaschinen, Enduros, Choppern und Goldwings (die Sofas unter den Motorrädern). In der sechsten, der neu eröffneten Vorführhalle, fuhr Christian Pfeiffer Stunts auf dem Hinterrad, während sein Körper vorn auf der Lenkerstange saß. BMW hatte eine „Scarver“ herausgebracht (F650 CS, für Fans) in Goldorange oder Azurblau-Metallic, beides erinnerte an Polstergarnitur. Das Wort „Scarver“ war mir neu. Aber den anderen auch, und wie sie würde ich demnächst, wenn es drauf ankam, lässig vom „scarven“ reden. Dazwischen protzten Oldies (eine aufgepäppelte Zündapp von 1935), kuschten 125-Kubik-Maschinen (die Hubzwecken der Motorradwelt), und eine echte Entdeckung war das Crokobike: ein Umbau einer Harley Davidson. Es war grün changierend lackiert und besaß eine weit nach hinten gezogene Lenkerstange, der Schädel des Reptils. Ein Mitglied eines der Vereine, in denen man geboren ist, um wild zu sein, erklärte über Video: „Dit Leben dreht sich doch die janze Woche um dit Bike und dit Motorrad.“ Das fand auch der Besitzer des Crokobikes. Er hatte es sich auf einem Schlafsack hinter dem Reptil bequem gemacht.

Die Metaphern krachten also wie immer authentisch wie der Original-Pferdesattel, der am Stand von „Olufs Mini Monster“ über ein vorsintflutliches Monsterbike geworfen war und von der symbolischen Nähe zum Marlboro-Mann kündete.

Bei Zweirad-Krause sah ich dann die V-max wieder. Sie war blau. An eine silberne Kappe hinter der Fußraste für den Sozius war ein Leuchtpfeil geklebt. Darauf stand: „Neu! Sinnvoll!“ Ich sah mir die Kappe eine Weile an. Ich hatte keine Ahnung, wozu dieses silberne, blank polierte Metallteil gut war. Es fehlte jede Erklärung. Zuerst kam ich mir noch vor wie bei einer Schnipseljagd. Ich war auf einen irreführenden Schnipsel hereingefallen. Der Leuchtpfeil klebte hier zum Spaß. Ich war fröhlich hinter ihm her in den Blechwald gerannt, und jetzt stand ich da. Hinter mir stand ein Mann. Er war Japaner. Er redete mit seinem Bekannten, der eine Lederjacke mit der Aufschrift Louisiana Reb’s Berlin trug. Leider verstand ich nicht, was er sagte. Aber er sah aus, als fände er die Kappe sehr sinnvoll, als wäre ihm gerade ein Licht aufgegangen. Vielleicht wollte er sich auch nur nicht blamieren. „Da können die Japaner noch was von uns lernen, was?“, rief Zweiradkrause gerade lachend herüber. Jedenfalls kannte ich mich plötzlich nicht mehr aus. Ich war draußen. Aber das wurde ja auch irgendwie von mir erwartet.

Im neuen Katalog von Hein Gericke, dem bekanntesten Motorradausstatter Deutschlands, gibt es die Rubrik Womenpower. Das sind zwölf von fast sechshundert Seiten, die den Damenklamotten gewidmet sind. Davor steht: „Vielleicht ist das Motorradfahren wirklich eher eine männliche Domäne. Vielleicht verbirgt sich wirklich hinter jedem Visier ein kratzender Dreitagebart. Vielleicht ist die speziell weiblich-figurbetont geschnittene Womenpower-Linie tatsächlich eine überflüssige Investition. Vielleicht ist die Erde wirklich keine Kugel.“