tamtürktür ... am van-see ist die hölle los! von BJÖRN BLASCHKE
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Ist es Ihnen aufgefallen? Wenn nicht, ist es kein Wunder. Denn das einzig Auffällige ist, dass es eben nicht mehr auffällt. Er – der wahre Türke – ist hierzulande leider assimiliert. Herr Türk sieht aus wie Herr MüllerMeierSchmidt. Und Herr Türk sieht nicht nur so aus. Er hat sogar sein Verhalten angepasst: Vorbei die Zeiten, da der heißblütige Schnurrbart nadelstreifenbeanzugt-souverän zehn Meter vor seiner mit Einkaufstüten überladenen Kopftucheule zu stolzieren pflegte und sich einen Bruch bestenfalls an seinem Luxusautoschlüssel hob. Heute fällt Herr Türk gar nicht mehr auf. Gleich seinen deutschen Geschlechtskameraden ist er obrigkeitshörig, wulackt täglich fleißig, jeanst hinter einer Gazelle her und wäscht samstags brav seinen Mittelklassewagen.

Sicher gibt es Ausnahmen. Aber die Türken, die heute noch aussehen wie gerade erst angeworben, leben in Enklaven. In Köln kann man sie in Nippes, in Berlin in Kreuzberg sehen. Wer indes wahre Türken beobachten will – Türken, die ein 1961er-Gastarbeiterauftreten pflegen – muss in die Türkei. Und zwar nicht nach Istanbul oder Antalya, wo die Türken auch längst aussehen wie MüllerMeierSchmidt. Die freie Wildbahn der Urtümtürken liegt in Ostanatolien, am Van-See.

Ich besuchte den Van-See zum ersten Mal im November 1999. Bereits vormittags hatten meine entzückende Gefährtin und ich in Diyarbakir unsere Badehose und unser kleines Schwesterlein eingepackt. Doch der Überlandbus rumpumpelte so lange durch eng bewaldete Berge, dass es schon wieder dämmerte, als wir den See endlich zwischen den Bäumen matt glänzen sahen. Wir ignorierten sowohl die befriedeten PKK-Kämpfer, die uns freundlich von der einen Straßenseite zuwinkten, als auch die türkischen Soldaten, die auf der anderen Straßenseite Grimassen zogen. Wir lasen lieber im Reiseführer. Dessen Autor dozierte, dass der Van-See rund siebenmal größer sei als der Bodensee. „Aha“, konterte ich, „und?“ Ich war bloß ein einziges Mal am Ufer des Bodensees gewesen. Damals konnte ich die gegenüber liegende Seite gar nicht erkennen, weil sie in viel zu großer Entfernung lag. Mit dem Van-See erging es uns nicht anders: Sein Wasser verschwamm im Horizont.

So unbegreiflich ich den Vergleich „Boden-/Van-See“ fand, so beeindruckend wirkte die Information, dass der Van-See bis heute kaum erforscht sei. Weder habe man bisher herausgefunden, wann er entstand, noch wie sein Grund beschaffen sei. Denn: Der Van-See sei so tief, dass man noch nicht einmal wisse, wie tief er ist. Wahrscheinlich habe der Van-See in grauer Vorzeit einen Abfluss besessen, der irgendwann durch ein Erdbeben verschlossen wurde. Seither reguliere sich der Wasserstand im steten Wechselspiel von Verdunstung und Niederschlag. Dadurch habe sich ein Salzgehalt entwickelt, der es lediglich wenigen Organismen erlaubt, im Van-See zu leben. Ein totes Binnenmeer, das sich in Ferne und Tiefe verliert …? Pathos heißt der Rhythmus, bei dem ich mit muss! Über das Wesen vom See demnächst mehr, denn am Van-See ist die Hölle los!