Peking macht Separatisten zu Terroristen

Die chinesische Regierung verschärft die Kampagne gegen separatistische Bestrebungen im Nordwesten des Landes

PEKING taz ■ Chinas Regierung wirft separatistischen Gruppen in der überwiegend muslimischen Nordwestprovinz Xinjiang vor, mit Ussama Bin Laden und den afghanischen Taliban unter einer Decke zu stecken. Sie sollen „Bombenanschläge, politische Morde, Brandstiftung, Giftattentate und Überfälle“ geplant und organisiert haben, heißt es in einer Erklärung des Staatsrats vom Montag. Titel: „Die terroristischen Kräfte Ostturkestans werden nicht straflos davonkommen.“

Ziel der Terroristen sei die Gründung eines „theokratischen islamischen Staates Ostturkestan“. Bin Laden, so behauptet Chinas Regierung, habe einige dieser Gruppen finanziert und bewaffnet und zahlreiche Anhänger in afghanischen Lagern ausgebildet. Seit 1998 seien auch mehrere Trainingscamps in Xinjiang errichtet worden. So habe eine „Islamische Bewegung Ostturkestan“ sich „viele Male“ mit den Chefs anderer terroristischer Organisationen in West- und Zentralasien verschworen, um einen „heiligen Krieg in Xinjiang“ zu führen. 1998 seien „dutzende Anhänger der Islamischen Bewegung Ostturkestans“ aus Lagern Afghanistans nach Xinjiang und in andere Provinzen Chinas eingedrungen. Sie hätten dort 15 Zellen gegründet und 150 Kämpfer im Umgang mit Sprengstoff geschult.

Damit verschärft Peking seine Kampagne gegen Separatisten in der Grenzprovinz, in der vor allem turksprachige Uiguren, Tadschiken und Kasachen leben. Nach dem 11. September erklärte China, es schließe sich dem internationalen Kampf gegen den Terrorismus „in jeder Form und an jedem Ort“ an. Seither verspüren die Muslime im Nordwesten stärkeren Druck: Imame mussten zu Schulungen bei den staatlichen Religionsämtern antreten. Kulturveranstalter wurden angewiesen, auf „antichinesische Tendenzen“ zu achten. Grenzbeamte erhielten den Auftrag, die „Infiltration feindlicher Gruppen“ zu verhindern, Xinjiangs Militärpolizei wurde verstärkt. Inzwischen wurden nach offiziellen Angaben rund 100 in Afghanistan oder anderswo ausgebildete Separatisten verhaftet.

So scharf Pekings Vorwürfe klingen, so lau sind allerdings die Beweise in dem Dokument. Fachleute halten die Separatisten in Xinjiang für schwach und unkoordiniert. Eine gemeinsame Führung, vergleichbar mit dem Dalai Lama der Tibeter, fehlt. Exilorganisationen, die meist friedlich ein „Ostturkestan“ anstreben, sitzen in Amerika und Deutschland. Menschenrechtsorganisationen befürchten, Pekings Kampf gegen den Terrorismus diene als Vorwand, um gegenüber Dissidenten und Gläubigen die Schraube anzuziehen. Ähnlich äußerte sich US-Präsident George W. Bush, der Mitte Februar Peking besuchen will. Chinas Regierung hält dagegen: Im Februar 2001 hätten sich Bin Ladens Leute und Talibanführer im afghanischen Kandahar getroffen, um „die Ausbildung der Ostturkestan-Terroristen“ zu besprechen, so das Dokument. Dabei sei beschlossen worden, „fabelhafte Summen für das Training“ auszugeben und „die Kosten für ihre Einsätze im Jahr 2001“ zu tragen. Belege liefert Peking nicht.

Stattdessen werden 200 Vorfälle aufgelistet, bei denen seit den 80er-Jahren 162 Menschen getötet und über 440 verwundet wurden. „Terroristen“, die oft nicht näher bezeichnet werden, hätten in Kinos, auf Märkten und an Bushaltestellen gelegt, muslimische Geistliche und staatliche Beamte ermordet und Dorfbewohner und Vieh vergiftet. Die Verbindung zwischen diesen Ereignissen ist nicht offensichtlich – auch nicht, wo es politisch motivierte und wo rein kriminelle Taten sind. JUTTA LIETSCH