Dialog zwischen Körper und Bild

■ Chris Haring in der Videotanz-Performance D.A.V.E. auf Kampnagel

Utopie wird virtuelle Wirklichkeit. Spielerisch tasten Chris Ha-ring und Klaus Obermaier sich an die Grenzen von Segen und Unheil, Faszination und Bedrohung moderner Wissenschaft heran. In der Videotanz-Performance D.A.V.E. (Digital Amplified Video Engine) setzen der Tänzer und Choreograf Haring und der Komponist und Videokünstler Obermaier, beide aus Wien, auf den unmittelbaren Dialog zwischen Körper und Bild.

Die Auflösung des Körpers im Zeitalter seiner unbegrenzten Reproduzierbarkeit ist das Thema. Doch steht da inmitten der Pixelflut animierter Selbstbilder der reale Tänzer Chris Haring mit seiner phänomenalen Körperpräsenz. „Zeig mir Dein Fleisch!“ – der zurzeit auf Kampnagel geltenden Aufforderung werden die beiden Künstler, trotz beeindruckender Auflösungserscheinungen, am 25. und 26. Januar sicher nachkommen.

Dabei gehört Haring, wie er im Gespräch bestätigt, keineswegs zu jener Fraktion, welche die neuen Technologien als Versklaver der Menschheit verdammt. Den technik-durchzogenen Körper begreift er als einen Kern neuer Entwicklungen – funktional sowie ästhetisch. D.A.V.E. visualisiert da seiner Meinung nach nicht mehr allzu fern liegende Möglichkeiten von Genmanipulation, Transplantation und Prothetik. „Jeder von uns hat heute Prothesen, angefangen bei der Zahnplombe oder Kontaktlinse. Diese Dinge“, meint der 29-Jährige, „beeinflussen unsere Körperlichkeit weit mehr als die medialen Bilder.“

Da sei es keineswegs zu weit gedacht, sich auszumalen, wie ein genmanipulierter Körper eine neue Bewegungsästhetik erschaffen und auch das Leistungsvermögen steigern könne. „Eine 60-jährige Tänzerin“, erläutert er, „könnte Bewegungen machen, die früher nur mit 20 möglich waren. Doch mit der Erfahrung, die sie hat, wird sie ganz anders tanzen als eine 20-Jährige.“

D.A.V.E. setzt auf die Faszination der Sinnestäuschung, hervorgerufen durch den Doppelungseffekt von tanzender Person und dem von ihr abfotografierten, manipulierten Bild, das wiederum deckungsgleich auf die Person projiziert wird. Der Körper ist Bühne und Projektionsfläche für körperlose Träume. Ein poetisches Wechselspiel, das Haring weniger technisch als philosophisch herausfordert. „Ich muss als Tänzer die Figur weiterdenken können, selbst wenn sie nicht mehr da ist und ich sie auch nicht spüre. Doch in dem Moment ist sie ein Teil von mir.“

Dabei glaubt Haring, der seit 1993 choreografisch tätig ist und zwischendurch mit der radikalen britischen Tanzgruppe DV8 Physical Theatre gearbeitet hat, dass von der Allianz aus Video und Tanz in erster Linie der Tanz profitiere. „Alle Rezensionen über D.A.V.E. heben meine körperliche Präsenz hervor. Ich tanze nicht anders als vor fünf Jahren“, bemerkt er. Erstmal angezogen durch den Medieneinsatz, sei das Publikum durch Videospiele und den Bilderrausch aus Hollywood doch so abgestumpft, dass es hier staunend aufblicke, wenn da auf der Bühne nur jemand die Hand hebe. Und jedesmal freut sich Haring über die Frage, wie er das mit der Armrotation denn videotechnisch angestellt habe, und er antworten kann: „Da war kein Video. Das war ich selbst.“

D.A.V.E., das bei seiner Premiere 1999 in Singapur ebenso begeis-terte wie später bei der Ars Electronica in Linz, ist heute Österreichs meistgespielte Tanzperformance. Vor einem Jahr war es bereits in der Reihe „TanzMontage“ der Tanzcompanie Lübeck zu sehen, bei der Haring des öfteren als Gastchoreograf tätig war.

Marga Wolff

Chris Haring/Klaus Obermaier Videotanz-Performance D.A.V.E., 25. und 26. 1. 2002, 20 Uhr, Kampnagel k2