Bibliophiler Stolz

Drucken wie Schönschrift: Die Greifswalder Gutenberg-Bibel überlebte in Kellern und ist nun in Berlin zu sehen

Auf dieses Buch der Greifswalder Universitätsbibliothek waren die Berliner um die letzte Jahrhundertwende herum scharf, die Preußische Staatsbibliothek versuchte den bibliophilen Schatz mit finanziellen Verlockungen und plumpen Drohungen nach Berlin zu holen. Doch in Vorpommern blieb man stur. Hundert Jahre später ist die so genannte „36-zeilige Gutenberg-Bibel“, 1460 in Bamberg gedruckt, dann doch in Berlin und damit nach Lund (Schweden) erst zum zweiten Mal überhaupt außerhalb von Greifswald zu sehen.

Dort ist man zurecht ein bisschen stolz, das bibliophile Juwel zu präsentieren. Sind weltweit von neun solcher Bibeln doch nur noch Teile übrig. Wer aber hat schon eine vollständig und zudem exzellent erhaltene 36-zeilige Gutenberg-Bibel aufzuweisen?

Nur Paris, Wien, Leipzig und eben Greifswald, dessen Archive 750 Druckschriften aus den Anfängen der Buchdruckkunst beherbergen. Von Fachwelt und Öffentlichkeit jenseits der Landesgrenzen weitgehend unbemerkt.

Alle Bücher stammen aus der Inkunabel-Zeit. Als Inkunabel bezeichnet man alle mit beweglichen Lettern vor 1501 hergestellten Druckwerke. Das aus dem Lateinischen abgeleitete Wort meint ursprünglich Windeln oder Wickelbänder, mit denen anno dazumal Wiegenkinder gewickelt wurden. Und weil damals die Druckkunst noch in der Wiege lag, nennt man Frühdrucke auch Wiegendrucke.

Die 750 Wiegendrucke der Universitätsstadt überlebten die Jahrhunderte durch Zufall. In den Klöstern der Region benutzt, galten sie in den Jahren nach der Reformation – weil aus der katholischen Ära stammend – als unerwünscht. Die Drucke lagerten in dunklen, kalten Kirchen, was gut für ihren Erhalt war. Jahrhundertelang vergessen, wurden die Wiegendrucke um 1830 neu entdeckt.

Die ersten gedruckten Bücher sind deshalb so interessant, weil sie sich in ihrem äußeren Erscheinungsbild noch deutlich an den ästhetischen Kriterien mittelalterlicher Handschriften orientieren. Kostbare per Hand gemalte Initialen, Miniaturen und schmückende Elemente finden sich trotz moderner Drucktechnik. „Nicht Schreiben wie gedruckt, sondern Drucken wie von kunstfertiger Hand geschrieben war das Ziel“, schreibt Altgermanistin Irene Erfen im Begleitband der Ausstellung. Das ist zum Beispiel sehr schön in der 1478 hergestellten Nürnberger Bibel zu sehen. Durch den Freiraum beider Spalten zieht sich ein kunstvolles, in Gold gemaltes Band, das am unteren Seitenrand zu bunten Ornamenten und Blumen schnörkelreich auswuchert. Prunkstück der Ausstellung ist ohne Zweifel die 36-zeilige Bibel, deren Bezeichnung von der Anzahl der Zeilen auf einer Buchseite herrührt. Die vier Kilogramm schwere, zweibändige, auf Papier gedruckte lateinische Heilige Schrift ist meisterhaft gestaltet. Den schweinsledernen Einband zieren metallene Eckbeschläge, die Einhörner und Linien, beides christliche Symbole der Reinheit, zeigen. Die vielen kunstvoll gestalteten Initialen, die zusammen mit dem reichen Rankenwerk den an sich schon herausragenden Druck individualisieren, machen ihn zu einem der bedeutendsten Dokumente der Symbiose traditioneller Handschriftenkultur und neuer Druckkunst.

Zum „königlichen Rang“ passt, dass die Bibel – wenn überhaupt – nur alle zehn Jahre öffentlich bei gedämpfter Beleuchtung zu sehen ist. Ansonsten würde das alte Buch schnell blass aussehen. ANDREAS HERGETH

Bis 10. Februar, täglich 10 bis 18 Uhr, Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern, In den Ministergärten 3, Mitte.Begleitband: Irene Erfen, „Schätze der Schwarzen Kunst – Wiegendrucke in Greifswald“. Edition Temmen, Rostock 1997, 127 Seiten, 10,90 €