Der Germanistikstudent

Kuchenkrümel unterm Küchentisch: Heute stellt Kook, eine kleine, umtriebige Berliner Plattenfirma mit Literaturabteilung, bei Dussmann ihre Labelcompilation „Wir müssen bis morgen reichen“ vor

von SUSANNE MESSMER

Wer in die Vorlesung oder ins Seminar geht, um dort nebenbei auch einen kleinen Flirt zu finden, der ist schlecht beraten, dies im Fachbereich Germanistik zu tun. Schöne oder wenigstens interessante Männer gibt es dort eher selten. Oft sind männliche Germanisten zwar klug und nett, aber auch meist komisch gekleidet, linkisch und schüchtern.

Von diesen und ähnlichen Vorurteilen gezeichnet scheint in manchen Momenten auch der Germanist Jan Böttcher. Doch ansonsten ist der Schriftsteller und Sänger bei der Berliner Band Herr Nilsson ganz vergnügt und für Germanistikstudenten ungewöhnlich umtriebig: Seit vier Jahren betreibt er unverdrossen sein eigenes Kleinstlabel, das Kook-Label, auf dem er seine eigene Platten, aber auch die anderer Bands veröffentlicht. Jetzt ist auf Kook die erste Labelcompilation erschienen, „Wir müssen bis morgen reichen“, ein Vertrieb hat sich gefunden und kürzlich hat sich aus Kook auch eine Literaturabteilung entwickelt, wo Lesungen veranstaltet werden und eine kleine, zur CD passende Anthologie erschienen ist, die auf den Lesungen verkauft wird.

Nicht nur Jan Böttchers eigenen literarischen Texte und Songtexte gehorchen allerdings trotzdem dem Prinzip Germanistikstudium, sondern auch die vieler anderer Autoren und Sänger im Dunstkreis von Kook. Die Texte von Bands wie Herr Nilsson, Schrottfisch oder Zimtfisch – Letztere haben kürzlich von Kook zum bekannteren What’s-So-Funny-About-Label gewechselt – erzählen eigentlich nicht viel. Meist handeln sie davon, wie es sich anfühlt, wenn man Angst hat vor der Welt und Sehnsucht nach ihr, weil man denkt, dort spiele sich das Leben ab. Es geht um die Kuchenkrümel unterm Küchentisch oder also um die Banalitäten des Alltags, die sich, wenn man sie nur lang genug anstarrt, in kleine Monster und andere Wunder verwandeln. Da wird über Heinz den Astronom gesungen (Schrottfisch), über den Vater, der einen Ausländer getroffen hat (Herr Nilsson), oder über den Wunsch, in einem Film zu leben: „Ich hätte immer das letzte Wort … und ich ginge ohne Abschied einfach fort“ (Zimtfisch).

In den Texten der Leseabteilung von Kook geht es ganz genauso poetisch und manchmal auch verdrechselt um Insekten, um komische, kleine Dinge, die man sich nicht erinnert, dort hingelegt zu haben, wo sie jetzt liegen. Aber manchmal passiert auch was, das jedem mal passiert, wenn er nicht gerade Germanistik studiert, zum Beispiel ausgehen und Alkohol trinken, nichts Besonderes also, aber doch besonders genug, um sich darüber zu wundern, wie anders doch manchmal alles sein kann und wie toll es ist, unter die werktätige Bevölkerung zu geraten, wenn die Nacht nur lang genug war. Oft wird dann in solchen Texten nach extra schrägen Metaphern gesucht, die vielleicht den Abend mit etwas verbinden, was man tags zuvor im Nietzsche-Seminar gelernt hat. Das klingt dann bei Rosemarie Poiarkov, die in Wien Philosophie studiert hat, zum Beispiel so: „selbst noch im Alkohol und Möglichkeitssinn gefangen, den Beat noch im Ohr und im Schoß“.

Passend zur Handwerklichkeit der Texte bei Kook gibt es bei den dazugehörigen Songs oft viele ausgedachte Töne, die wie nachträglich eingefügt wirken, extra eine halbe Note daneben, damit es bloß nicht zu glatt wird – das ist theatralisch und erinnert manchmal an Element of Crime, manchmal denkt man auch an Tom Waits und seinen konstruierten Dilettantismus, der ja manchmal ganz beeindruckend ist. Und schließlich lernt man auf Kook ja auch eine Menge neuer Bands kennen und Bands, die man noch nicht kannte, wie Kokon, in deren Lied ein Pony verschwindet, was lustig klingt. Blue Planet Sound haben ein prima Instrumentalstück beigesteuert, dass an Easy Listening aus Japan erinnert, und Post Holocaust Pop aus New York und Berlin haben zwar einen blöden Namen, dafür aber schöne Melodien.

Lesung mit Uljana Wolf, Alexander Gumz und den Musikern von Herr Nilsson, 18 Uhr, KulturKaufhaus Dussmann, Friedrichstr. 90, Mitte