grenzerfahrungen von HARTMUT EL KURDI
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In meiner Wohnung tut mir niemand was. Keiner belästigt mich mit Dingen, mit denen ich nicht belästigt werden möchte – wenn ich mal von Gnomen absehe, die plötzlich vor mir stehen und kryptische und mit unabsichtlichen Alliterationen gespickte Sätze wie „Papa, Puppi Popo putzen!“ von sich geben und mir dabei den Hintern eines kotzhässlichen Stoffpüppchens vor die Nase halten. Aber erstens sind Kinder ein Kolumnen-Don’t, und zweitens passieren einem draußen in der Welt viel lästigere Dinge. Und je weiter man hinausgeht in die Welt, desto lästiger werden sie.

So ist es z. B. für mich schon immer ein zweifelhaftes Vergnügen gewesen, Ländergrenzen zu überqueren. Selbst der inzwischen von mir erworbene deutsche Pass macht das Reisen für ein südländisch, ergo kriminell aussehendes Wesen wie mich nur geringfügig komfortabler. Eine Zeit lang bediente ich mich eines Tricks: Ich unternahm Auslandsreisen nur noch mit einem halbafrikanischen Freund. „Da kannste deinen Arsch drauf verwetten“, sagte mir dieser, „neben mir wirst du hundertpro nicht kontrolliert.“

Ich glaubte ihm kein Wort. Durch die jahrelang genossene Sonderbehandlung bei Grenzübertritten fühlte ich mich auf die Opferrolle abonniert. Schließlich hatte ich immer wieder das volle paranoide Kontrollprogramm der Uniformierten kennen gelernt: vom Ausweisdaten-Durchfunken über das Rucksack-Auskippen bis zum Aus-dem-Zug-Holen (einmal bot mir ein Grenzer sogar die Königsschikane seiner Zunft an: die klassische Rektaluntersuchung – glücklicherweise blieb es bei dem Angebot).

Aber ich musste lernen, dass man es noch schlechter treffen kann. Oder um es mit den Worten meines Freundes zu sagen: „Hast du ’nen Neger mit dabei, bist du dem Zöllner einerlei.“ Angesichts der dunkelbraunen Hautfarbe meines Reisegefährten verblasste ich in den Augen der Grenzbeamten augenblicklich, ebenso spielten meine schwarzen Haare anscheinend urplötzlich ins Dunkelblonde. Ich nenne diese Phänomen „Spontane kontrastbedingte Arisierung“. Konsequenz: Ich blieb tatsächlich unbehelligt. Mein Afro-Freund Olli dagegen wurde in meiner Gegenwart mehrmals so was von kontrolliert und gefilzt, dass selbst ich mit meinem reichen Erfahrungsschatz den beteiligten Beamten (u. a. Deutsche, Belgier und Briten) nur meinen Respekt für diese professionelle Liebe zum Detail aussprechen konnte.

Inzwischen reise ich wieder alleine. Mit immer weniger Freude. Grade in letzter Zeit ist es zum Stubenhocken. Als ich kürzlich nach Basel fuhr, durchwühlte ein schweizerischer Grenzer erfolglos meine gesamten Gepäckstücke, um dann schließlich frustriert mehrere Minuten in meinem Notizbuch zu blättern. Er blieb ausgerechnet auf der Seite hängen, auf die ich „Fußpilz heißt auf Englisch ‚athlete’s foot‘!!!“ gekrakelt hatte. Er las, runzelte die Stirn, sah auf und fragte mich: „Sind Sie geschäftlich unterwegs?“ In diesem Moment beschloss ich, eine Kontaktanzeige aufzugeben. Was ich hiermit tue. Also: Junger Mohr zum Mitreisen gesucht. Dringend!