Die Stunde der Claqueure

In Mali, dem Veranstalterland des Afrika-Cups, dreht sich derzeit alles um den Fußball und die Nationalfarben sind allgegenwärtig. Doch auch für die Anfeuerung der anderen Teams ist gesorgt

Aus Bamako HAKEEM JIMO

Auf der Stoppuhr standen noch drei Minuten, Nachspielzeit hatte der Schiedsrichter nicht eingeplant. 0:1 lag Gastgeber Mali im Eröffnungsspiel des Afrika-Cups gegen Liberia zurück – und über dem mit fast 50.000 Menschen gefüllten Stadion hatte sich eine nahezu depressive Stimmung ausgebreitet, die bereits seit dem Moment andauerte, in dem George Weah nach einer Ecke das Tor für die Liberianer eingeköpft hatte. In Minute 43 war das geschehen – und dabei noch nicht einmal ein Hauch von Jubelsturm aufgekommen, weil selbst die eigens zur Unterstützung der Gäste verpflichtete Gruppe malischer Claqueure nicht gute Miene zum bösen Spiel machen wollte. Sogar die paar Dutzend liberianische Bürgerkriegsflüchtlinge, die zum Anfeuern ihrer Mannschaft gekommen waren, hielten ihre Begeisterung zurück; Vielleicht wollten sie die Gastfreundschaft der Malier nicht noch stärker strapazieren.

In Afrika ist jeder Torschütze ein Held – normalerweise. Doch in den Augen der malischen Fans sah der Liberianer George Weah durch seinen Kopfball nur noch aus wie ein Sündenbock. Nur gut für die Stimmung im Land der Gastgeber, dass Seydou Keita drei Minuten vor dem Ende den Ausgleich erzielen konnte und die Welt somit wenigstens wieder ein bisschen in Ordnung war.

Wenige Stunden zuvor waren die malischen Fußballfans mit noch mehr Stolz erfüllt gewesen. Vor den Augen der Stadionbesucher und vielen Hunderttausenden an den begehrten Fernsehgeräten war die 23. Afrika-Meisterschaft im Fußball mit einem kulturellen Fest eröffnet worden. Szenen wie aus einem Monumentalfilm hatte es auf dem Fußballrasen gegeben; das Land zeigte im Oval der Arena seine ganze bunte Vielfalt an Kulturen, Völkern und Gewändern.

Die Eröffnungsfeierlichkeiten waren freilich nur der Startschuss, Initialzündung für einen fußballerischen Freudentaumel, der sich über ganz Mali gelegt hat und bis zum Endspiel am 10. Februar dauern soll. Denn nicht nur in den Fußballstädten Bamako, Mopti, Kayes, Segou und Sikasso dreht sich das Leben fast ausschließlich um das runde Leder. Im ganzen Land mit seinen zehn Millionen Einwohnern bleibt in diesen Tagen vieles stehen und liegen. Schulen und Universitäten sind geschlossen – und selbst die Präsidentschaftswahl im April könnte verschoben werden, während des Turniers fehlt schlichtweg die Zeit für Wahlkampf.

Da fällt es schwer, sich dem Fußballfieber zu entziehen, vor allem in den Ausrichterstädten. Zumal die Euphorie vom Veranstalter geschickt geschürt wird: Umgerechnet rund 75. 000 Euro erhält jene Gemeinde, die am besten das ihr zugeteilte ausländische Team unterstützt. Das macht durchaus Sinn, wie selbst die abgestellten Mali-Fans zugeben. Dadurch finden auch die von weither angereisten Teams lautstarke Unterstützung, was wichtig ist angesichts der Tatsache, dass sich nur wenige Afrikaner eine Reise zum Turnier leisten können – und sich ansonsten mehr oder weniger ganz Mali in die Nationalfarben Grün, Gelb und Rot gehüllt hat. Jedes Privatauto, jedes Taxi, so scheint es, fährt diese Flagge mit den senkrecht verlaufenden Farben spazieren, die an vielen Ecken zu kaufen ist. Durch den Wettbewerb der Claqueure wird zu dieser erdrückenden Dominanz der Farben Malis wenigstens ein kleines Gegengewicht geschaffen.

Mali erlebt in diesen Wochen also ein Fußballfest, auch wenn kritische Stimmen befürchten, dass sich der arme Staat damit übernommen hat. 150 Millionen Dollar sollen die Vorbereitungen und Investitionen in Stadien und Infrastruktur gekostet haben; das meiste davon haben chinesische Baufirmen mit Kreditsicherungen der Regierung in Peking errichtet. Die Laufzeiten der Kredite betragen nur wenige Jahre, was einen finanziellen Tod auf Raten für Mali nach sich ziehen könnte, wie Skeptiker glauben.

Mit den Folgen hieraus wird sich dann der nächste Präsident abmühen müssen, nach zehn Jahren endet die Regierungszeit von Alpha Oumar Konaré, der äußerst ungern geht. Da er schon nicht die Verfassung ändern konnte, um sich dadurch eine erneute Kandidatur zu ermöglichen, baute er dafür wie ein Besessener riesige Monumente – um nach seinem Abdanken nicht vergessen zu werden. Der 23. Afrika-Cup bleibt sicherlich im Gedächtnis vieler Malier haften, auch wenn heute im zweiten Turniermatch gegen Nigeria nicht die ersehnte Sensation gelingen und es selbst den bezahlten Claqueuren ein weiteres Mal die Sprache verschlagen sollte.