Nicht glücklich

Das Innenministerium ließ die Richter im falschen Glauben, dass der V-Mann noch immer tätig ist

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Am Tag danach sieht vieles anders aus. Auch das Bundesverfassungsgericht dürfte inzwischen nicht mehr ganz glücklich sein, dass es die mündliche Verhandlung über das NPD-Verbot abgesagt hat. Die Richter waren davon ausgegangen, dass der als Zeuge geladene NPD-Mann Wolfgang Frenz bis zuletzt für den Staat gespitzelt hatte. Erst dreieinhalb Stunden nach Absage der mündlichen Verhandlungen legte Innenminister Otto Schily am Dienstagabend den Sachverhalt klar: Frenz war nur bis 1995 als V-Mann tätig. Eine offensichtliche Kommunikationspanne. Doch wer hat Schuld?

In Nordrhein-Westfalen hatte man jedenfalls nie aus den Augen verloren, dass der in den Verbotsanträgen mehrfach zitierte Wolfgang Frenz ein ehemaliger V-Mann des Landes war. Doch schon dem Rechtsvertreter der Bundesregierung, Hans-Peter Bull, war diese Information offensichtlich vorenthalten worden. Folglich war sie auch im Schriftsatz an das Gericht nicht enthalten. Bull sagte gestern der netzeitung, dass er die Aussagen des NPD-Mannes nicht in der Antragsschrift verwendet hätte, wenn er von dessen Vorleben als V-Mann gewusst hätte.

Auf Seite der Regierungen sah man erst Handlungsbedarf, als Wolfgang Frenz vom Gericht als eine von 14 „Auskunftspersonen“ zur mündlichen Verhandlung geladen wurde. Diese Ladung wurde dem Düsseldorfer Innenministerium „vor etwa zwei Wochen“ bekannt, so ein Sprecher. Dort befürchtete man, dass Frenz vor Gericht nicht nur zu seinem 1998 publizierten Buch, sondern auch zur Geschichte der NPD befragt werden könnte. Immerhin war er schon Gründungsmitglied der rechtsextremistischen Partei. Frenz hätte dann aber sagen müssen, dass er zu Vorgängen vor 1995 nur bedingt Auskunft geben dürfe, weil er in dieser Zeit V-Mann war.

Deshalb erteilte ihm das Düsseldorfer Innenministerium „vorsorglich“ eine umfassende Aussagegenehmigung. „Wir wollten jede Verzögerung im Prozess verhindern“, erläutert ein Sprecher von Innenminister Fritz Behrens (SPD). Auch der Bund und die anderen Länder wurden im Rahmen der Prozessvorbereitung von diesem Vorgang unterrichtet.

Anscheinend hielt es aber niemand für erforderlich, auch das Verfassungsgericht offiziell zu unterrichten. Nach Darstellung einer Gerichtssprecherin erfuhr man von Frenz' Verstrickungen eher nebenbei: Am vorigen Mittwoch besprach ein Abteilungsleiter des Bundesinnenministerium mit dem federführenden Richter Hans-Joachim Jentsch telefonisch einige organisatorische Fragen zur mündlichen Verhandlung. Dabei erwähnte der Beamte auch, wohl eher in einem Nebensatz, dass Frenz die Aussagegenehmigung eines Landes-Verfassungsschutzes vorlegen werde. Jentsch wurde hellhörig und zog die nahe liegende Schlussfolgerung: also muss dieser Zeuge ein V-Mann sein.

Nachdem der beunruhigte Richter einmal darüber geschlafen hatte, rief er letzten Donnerstag wieder im Innenministerium an und bat um eine „schriftliche“ Mitteilung des Vorgangs für die Gerichtsakten. Als das Ministerium bis Montag nicht reagiert hatte, rief Jentsch erneut an. Nun hieß es: Man werde auf das V-Leute-Problem „in abstrakter Form“ im Eingangs-Statement der Verhandlung am 5. Februar eingehen. Da Jentsch dies nicht genügte, bat er um nochmalige Prüfung. Nun befassten sich im Ministerium sogar die Staatssekretäre mit der Sache und bestätigten: es gibt keine schriftliche Stellungnahme des Innenministeriums.

Einen Tag später berieten in Karlsruhe die acht Richter des Zweiten Senats über den Vorgang. Noch immer hatte sie niemand darüber aufgeklärt, dass Frenz nur bis 1995 als Spitzel arbeitete, während die belastenden Aussagen erst 1998 erfolgten. Das Gericht war also im Glauben, die Bundesregierung habe tatsächlich mit Spitzelzitaten Politik gemacht.

Dies warf so schwierige Rechtsfragen auf, dass sich der Senat außerstande sah, sie in den verbliebenen zwei Wochen bis zum Prozessbeginn zu klären. Ohne weitere Rücksprache mit den Verfahrensbeteiligten kippte das Gericht deshalb alle fünf für Februar vorgesehenen Verhandlungstermine. Dreieinhalb Stunden später protestierte das Innenministerium per Pressemitteilung und teilte mit, was es dem Gericht schon lange hätte sagen sollen: dass Frenz schon seit rund sechs Jahren kein Spitzel mehr ist.

Doch wie geht es nun weiter? Das Gericht wollte diese Frage gestern nicht beantworten. Es ist also völlig unklar, ob die Verhandlungstermine im Februar doch wieder angesetzt werden – oder ob das Verfahren erst mal auf Eis gelegt wird. Ende März endet nämlich auch die Amtszeit der Senatsvorsitzenden Jutta Limbach. Deshalb dürfte es wohl vernünftiger sein, wenn Karlsruhe erst die Wahl einer NachfolgerIn abwartet und dann das Verfahren ohne Zeitdruck beginnt.