Strategien der Auseinandersetzung

Hände bleiben von allen Verbindungselementen der vernetzten Zeit dennoch der wichtigste Link: Mit dem Stück „Les Lieux de Là“ der französischen Choreografin Mathilde Monnier hat der Tanz-Winter im Hebbel-Theater begonnen

Die Hände. Naheinstellung. Der Blick aus dem Zuschauerraum zoomt sich heran und entdeckt überall Hände. Die sich an Wangen legen und Gesichter wiegen, Nacken umfangen und Körper biegen. Die sich verhakeln, verklammern, lange Ketten vieler Menschen halten, Richtungen bestimmen, umlenken, wegschieben, Druck ausüben. Zärtliches Gemenge, hilfreiche Griffe. Hände sind doch was wunderbares, denkt man irgendwann während des Tanzstücks „Les Lieux de Là“, und dass der Mensch keine Angst mehr haben müsste, wenn er nur immer solch rettende Hände in der Nähe wüsste. Sie bleiben von allen Verbindungselementen der vernetzten Zeit der wichtigste Link.

Dabei ist diese verhalten liebevolle Unterströmung durchaus nicht selbstverständlich in der Choreografie von Mathilde Monnier. Die Zeichen stehen vielmehr schlecht, soziale Kälte, Aggressivität, Abschottung sind zu erwarten. Im Bühnenbild von Annie Tolleter rufen Wände aus Kartons und Mauern aus Filzdecken Assoziationen an Lager wach, in denen Menschen wie Dinge verwaltet, zum Stückgut werden: Tänzerinnen falten sich zu kleinen Päckchen. Tatsächlich springen einzelne des Ensembles aus sechs Männern und drei Frauen irgendwann in die Kartons, dass die Fetzen fliegen. Sie werfen ihre Wut hinein und man freut sich, dass es kracht.

An „Körper“ von Sasha Waltz erinnert das zwei Jahre ältere Stück, wenn die Gruppe zur amorphen Masse wird, sich übereinander stapelt, vorwärts wälzt, wie Wasser ausbreitet. Wie bei Elementarteilchen bestimmen Kräfte von Anziehung und Abstoßung ihre Formationen. Neben die gleichsam naturwüchsigen Bindungen treten die gewählten. Tanz wird zum Modell, Strategien der Auseinandersetzung zu üben.

Bekannte Bilder sozialer Gewalt transformieren sich vor unseren Augen. Rundum von breiten Schultern Eingekesselte zischen in zappelnden Sprüngen nach oben davon und sind plötzlich die Beschützten; Abgedrängte schieben sich durch den Spalt zwischen mauernden Körpern und bleiben unbehelligt. Klischees, die unsere Alltagsängste steuern, lösen sich auf. Die Musik zur Recherche über Individuum und Gruppe hat Heiner Goebbels komponiert. Sie wird von Alexandre Meyer live auf die Bühne gebracht und lässt in Rhythmus und Instrumentierung nie einen Zweifel von heute zu sein, so lässig dehnt sie sich zwischen den Feldern von Techno, elektronischer Moderne und Weltmusik aus.

Mit Mathilde Monnier begann der Tanz-Winter (bis 15. 2.) im Hebbel-Theater, zu dem mit Joachim Schlömer, Urs Dietrich und Cesc Gelabert wieder Choreographen eingeladen sind, deren Weg man in diesem Haus schon länger verfolgen kann. Monnier ist seit 1994 Leiterin des Centre Choreographique National in Montpellier im Süden Frankreichs, wo die Feindschaften zwischen den Gruppen der neuen Armen heftig von einer rechten Politik geschürt werden. Ihre klare Ästhetik muss durch die Abstraktion und den Minimalismus des modern dance hindurchgegangen sein, bevor sie zu neuen Konzepten des Sozialen kam. Anfang der 90er-Jahre hat Monnier mit afrikanischen Tänzern gearbeitet; seitdem gehören Seydou Boro und Salia Sanou aus Burkino Faso zu ihrem Ensemble. Mit autistischen Kindern hat sie 1996 erprobt, was die Techniken des Tanzes und was der Zuschnitt des Spielraum des Einzelnen zur Wahrnehmung des Außen und des Anderen beitragen können. Finde den Platz, den du brauchst, ohne andere zu verdrängen – diese Anleitung kann von der einfachsten gruppendynamischen Übung zur komplexen gesellschaftlichen Aufführung werden. So wird der Tanz zu einer besonderen Form der Beobachtung alltäglicher Performanz. KATRIN BETTINA MÜLLER

Hebbeltheater, Stresemannstr. 29, „Les Lieux de Là“, 25. Januar, 20 Uhr