Immer aus dem Bauch heraus

Die größte Übergröße des Fußballs: Leverkusens Büttenredner Reiner Calmund

Vom Provinzei zum Kulissenschieber mit schier unbegrenzter Medienpräsenz

Nicht wenige Zeitgenossen fragen sich seit geraumer Zeit, wer und was eigentlich Bayer Leverkusens Manager Reiner Calmund für einer ist; und was er täglich isst, was er in seinen geräumigen Magen verräumt und ebenda zufrieden schnaufend verstaut.

Du bist, was du isst, heißt es bekanntlich. Calmund zählt zu den einflussreichsten Größen im deutschen Fußball. Er stieg auf vom rheinländischen Provinzei zum Kulissenschieber mit schier unbegrenzter Medienpräsenz. Niemand, Franz Beckenbauer ausgenommen, füllt öfter und imposanter den Bildschirm, und außer Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge oder Gerhard Mayer-Vorfelder kann ihm auch niemand das Wasser in Sachen Machtmanagement und Monetenvermehrung reichen – das stille Volvic-Wasser neuerdings, das er täglich literweise in den weiten Körpersack schüttet, um fit zu bleiben für den Wettbewerb um Werbe- und Fernsehgelder.

Ja, wer ist Calmund, dieser unfassliche Leverkusener Wurstkopf, Bauchredner und Dampftopfplauderer?

„Erztaktiker Calmund gefällt sich in der Rolle des Machthabers und Supermanagers“, informiert Thomas Kistners und Ludger Schulzes verdienstvolles Buch „Die Spielmacher“. „Einer wie er, wie Daum von ganz unten gekommen, jongliert nun mit Millionen eines Weltkonzerns.“ Die Effizienz des „Superkapitalisten“ gründe in dem „Prinzip, Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen“, und wo der riesige Bauch die Entscheidungen trifft, verlangt eines solchen Mannes Walten freilich massig Mittel. „Butter bei die Mäuse!“ lautet das Motto, rauscht Calmund mal wieder nach Brasilien, um ein paar dicke Fische zu angeln, d. h. eine Kiste echter Spitzenspieler einzukaufen. Seit Calmund den Chemieverein dirigiert, seit 1988, wird nicht gekleckert, sondern volle Gulaschkanone Geld gekotzt.

Nicht besonders deliziös, ein solches Gebaren, gewiss. Der brasilianische Profi Tita soll Calmund „dickes Bandito“ getauft haben. Auf kriminellem Plattfuß steht der Kopfjäger indes nicht allein mit den Transfergepflogenheiten – ebenso sehr und unaufhörlich-unüberhörbar mit der Sprache, die er unermüdlich knetet, durchwalkt, zusammenquetscht zu unförmigen Bällchen, hinunterschluckt und wieder ausspeit. Man möchte ihm ein Lätzchen um den baumstarken Hals binden, damit er sich die Resultate seines Gespeichels betrachtet – und innehält.

Gleichwohl, damit ist nicht zu rechnen. Überall stemmt der ungehobelte Klotz die wehrlosen Wörter wie seine Anti-Speck-Hanteln, schmiedet er bucklige Metaphern und schnitzt Sätze, die vor Trivialität, Selbstverliebtheit, beschämender Lustigkeit und talgigem Frohsinn schwitzen.

„Ich habe schon als Kind tolle Büttenreden gehalten, ich bin eben Rheinländer. Ganz klar, dass ich auch keine Probleme damit habe, mich den Medien zu stellen“, prahlt Calmund und plaudert das gar nicht so geheime Geheimnis der normalen Korruption, die man Medienspiel nennt, aus: geben und nehmen, schwätzen und wertschätzen, Präsentation und Präsenz, die permanente Umarmung der Fußball-, Medien- und Industriekonzerne: „Erstens: Sechzig, siebzig Prozent unseres Geldes stammen vom Fernsehen. Das ist auch unser wirtschaftlicher Partner, deswegen hat man da hinzugehen. Zweitens: Es macht mir Spaß. Auch in schlechten Zeiten muss man sich stellen und darf sich nicht verpissen. Drittens: Das Fernsehen hat bei mir schnell gemerkt: De’ kütt! Also rufen die gern bei mir an.“ Und schon hockt Calli im Flieger, auf dem Weg zum nächsten Haufen, um seinen genuinen Dauerseim abzusondern, etwa: „Man spielt nicht zwanzig Minuten La Paloma auf dem Platz.“ Oder auch: „Das war kontrollierter Käse.“

Enthemmter käste noch kein Bundesligabolzen die Gazetten und die TV-Wohnstuben zu. „Wenn der Körper nicht voll ist, ist auch die Rübe nicht voll“, sagt er ungeniert. Ja, wenn der Körper voll ist, läuft die Rübe über. Die flotte, mit verwestem Mutterwitz garnierte Dummheit gehorcht nur der Gesinnung des verhockten Parvenüs und den Gesetzen des Medienmarktes, dessen Segmente durch jeweils scheinoriginelle O-Töne bedient sein wollen.

Zweifel sind dem unermüdlichen Propagandisten in eigener Sache fremd. Wenn der gelernte Außenhandelskaufmann und Betriebswirt zu bedenken gibt, „Ich habe fast nur noch mit Juristen und Politikern zu tun, mit Funktionären, Sponsoren und Geschäftsleuten“, nimmt er sich selbstredend aus. Der Kerl mit der legendären „Bodenhaftung“ liebt den Fußball, er hat ihm sein Herz geschenkt, und das qualifiziert ihn, dem Kollegen an der Werkbank bisweilen imagewirksam nach dem Maul zu plappern: „Erst kürzlich sagte ich zu unserem Pressesprecher: Du, Uli, was wird hier eigentlich gespielt? Doch nicht etwa Fußball? Oder sitzen wir hier im Hänneschen-Theater? Da treten nämlich auch Herren in feinen Nadelstreifenanzügen auf. Und dann wird’s gefährlich. Die haben vom Fußball nicht so viel Ahnung. Diese Ahnungslosen in Nadelstreifen denken, da ist ein Getriebe oder so’n Federmechanismus im Ball, was den springen lässt. Da krieg ich Gelbsucht!“

„Herr Calmund, was wäre, wenn es Fußball nicht gäbe?“, wurde Monsieur Nimmersatt einst gefragt, und er antwortete: „Dann wäre es mein Traum, dass ich ihn erfinden dürfte.“

Noch größer, noch runder – und mit Pickeln dran. Oder wenigstens mit Mixed Pickles.

JÜRGEN ROTH