Rodeln für die Utopie

Am Wochenende will der zuletzt erfolglose Georg Hackl beim Weltcup in Winterberg den Sprung in die beste Startgruppe und damit die Voraussetzungen für seinen vierten Olympiasieg schaffen

von KATHRIN ZEILMANN

Man irrt, wenn man denkt, der bajuwarische Rodler Georg Hackl fühlt sich nur im engen Rodeldress oder in Lederhose und Haferlschuhen wohl. Auch mit schicken Winterjacken in rostbraun, weiß und orange, die es für die deutschen Olympiateilnehmer bei der Einkleidung in München gab, gefällt sich der „Hackl Schorsch“.

Beim Unternehmen Olympia wird ihm aber der Rodelanzug das liebste Kleidungsstück sein, das er mit nach Übersee nimmt. 1992, 1994 und 1998 hat er Gold geholt, der vierte Olympiasieg in Folge – das wäre es doch. Dann würde seine ganze Heimatstadt Berchtesgaden, oder besser noch ganz Bayern oder denkbar auch ganz Deutschland jubeln. Aber: „Das ist doch utopisch, da jetzt an das vierte Gold zu denken“, sagt der Sportler selbst.

Ist das lässiges Understatement oder ist die Goldmedaille in Salt Lake City wirklich nur mit viel Glück zu erringen? Betrachtet man sich die letzten Wochen des Georg Hackl, ist man geneigt, letzteres zu glauben. Auf seiner Hausbahn am Königssee Anfang Januar hat er zwar gewonnen, doch noch während des Wettbewerbes erlitt sein Vater, einer von Hackls engsten Bezugspersonen, einen Herzinfarkt und starb.

Und dann folgte die sportliche Misere. Beim Weltcup am vergangenem Wochenende in Sigulda (Lettland) fiel er nach einem Fahrfehler vom Schlitten. Nicht nur, dass es für das Ego eines Rodlers nicht unbedingt gut ist, wenn man sich auf der Bahn von seinem Fahrgerät verabschiedet, Hackl hat viele Chancen auf einen Platz in der wichtigen Startgruppe bei den Olympischen Spielen eingebüßt. Nach den Platzierungen aus den letzten drei Weltcups (Oberhof, Sigulda und Winterberg) wird die gesetzte Startgruppe nominiert. Bis jetzt war Hackl lediglich Neunter in Oberhof, in Winterberg steht er also gehörig unter Zugzwang, damit er sich bei Olympia überhaupt günstig positionieren kann. „Jetzt darf in Winterberg an diesem Wochenende nichts passieren“, hofft Bundestrainer Thomas Schwab. Und Hackl selbst ist da ein Muster an Zuversicht. Die Bahn in Winterberg liege ihm nämlich, erklärt er. Sechs seiner 25 Weltcup-Siege hat er im Sauerland gefeiert und wurde 1989 hier zum ersten Mal Weltmeister.

Aber was Salt Lake City angeht, ist er schon skeptischer. „Eine Bahn, die zwei Gegensätze vereint“, charakterisiert er den Eiskanal, den er mit seinem Schlitten viermal hinabgleiten wird, um am Ende (vielleicht) vor seinen Konkurrenten zu sein. Oben müsse man ein guter Lenker sein, „und unten musst du gleiten“.

Jetzt gilt es also für die Rodler, das richtige Material für diese heikle Bahn zu finden. Hackl macht das wie immer selbst, an seinen Schlitten lässt er niemanden sonst. „Wenn’s gut läuft, bin ich verantwortlich und wenn das Material mal nicht stimmt, hab’ ich auch ganz alleine Schuld“, meint er lapidar auf die Frage, warum er auf technische Hilfe verzichtet. Und deshalb macht er sich Gedanken um das Klima in Salt Lake City. „Trocken und kalt“ solle es sein, „das würde passen“. Aber irgendwie macht ihm dieser große Salzsee dann doch zu schaffen. „Wenn die Luft aber feucht wird, haben wir Rodler das nicht so gerne.“ Vielleicht, so die vage Hoffnung, hat der Hackl Schorsch ja nur geblufft und wird die Konkurrenz auf der Gegensatzbahn von Salt Lake City eiskalt deklassieren? „Nein, ich musste die Karten schon auf den Tisch legen“, sagt er, „das deutsche Team ist ja stark, da kann man nicht pokern.“

Während die männlichen Rodler sich auf dem Siegerpodest quasi abwechseln, fällt in den Frauenwettbewerben die Entscheidung meist zwischen Silke/Sylke. Olympiasiegerin Silke Kraushaar liegt im Gesamtweltcup vor Europameisterin Sylke Otto. Die Frage ist also eigentlich nur, wer von den beiden bei Olympia ganz oben stehen wird oder ob Barbara Niedernhuber als dritte im Bunde für einen Erfolg sorgen kann. „Aber abwarten: Erst müssen wir die vier Läufe runterbringen, dann werden wir sehen“, verkündet Sylke Otto. Übertriebenes Selbstbewusstsein und Siegessicherheit ist nicht die Sache der deutschen Rodler, sie sind Profis genug, um zu wissen, dass Sekundenbruchteile im Eiskanal den Traum vom Gold zunichte machen können. Wenn das Material nicht perfekt ist, wenn ein kleiner Wackler die Fahrt stört – schnell kann man sich dann von den Podestplätzen verabschieden. Aber bisher haben es die deutschen Rodler immer geschafft, bei Großereignissen auf den Punkt fit zu sein. Und deshalb hat Georg Hackl seine bayerische Tracht auch ganz bestimmt im Gepäck für Salt Lake City, denn im Falle eines Falles soll ja doch stilecht gefeiert werden.