■ H.G. Hollein
: Dienstfahrten

Die Frau, mit der ich lebe, ist bisweilen hilflos. Ich neige allerdings dazu, hinter ihren chronisch wiederkehrenden Anfällen von Unvermögen ein planvolles Nicht-Wollen zu vermuten. Etwa, wenn die Gefährtin morgens, angetan mit Wams und Mütze, auf dem Bett sitzt und mir mit großen Augen eröffnet: „Es regnet, Schatz.“ Tja, was tun? Die Antwort auf die klassische leninsche Frage ist in diesem Fall Gott sei Dank subtextuell bereits in der Sachstandsbeschreibung der Gefährtin enthalten. Sie lautet: „Fahr mich mal eben zur Arbeit.“ Das gleiche gilt aber auch für klimaunabhängige Festellungen wie „Ich muss zum Frisör, zur Zahnärztin, zu X oder Y und so weiter.“ Diese, der Gefährtin offenbar inhärente, um nicht zu sagen konditionell angeborene Immobilität ist für mich zweifellos mit einer gewissen Mühe verbunden. Andererseits weiß ich immer, wo die Gefährtin ist. Nämlich genau da, wo ich sie zuletzt abgesetzt habe. Hämischen Zweiflern kann ich zum Beweis entgegenhalten, dass mich nach jedem Auslieferungstermin ein Anruf ereilt, der da lautet: „Ich bin hier jetzt fertig, Schatz.“ Zum Subtext siehe oben, nur mit inversem Vorzeichen. Ich spiele gelegentlich mit dem Gedanken, bei der Gefährtin um die Anschaffung eines grauen Anzugs samt Schirmmütze und farblich passenden Handschuhen auf Haushaltskosten einzukommen, allein rechne ich bei der tiefverwurzelten anti-feudalen Grundhaltung der Transportanda eher nicht damit, dass mir irgendwann einmal eine richtig schicke Chauffeurslivrée zuteil wird. Auch wenn KollegInnen der Gefährtin mich abends regelmäßig mit den Worten empfangen: „Birgit, dein Fahrer ist da.“