Verirrt im Orangensaft-Lager

■ Juli Zeh liest am Sonntag aus ihrem Debütroman „Adler und Engel“. Am Montag wird sie mit dem Förderpreis des Bremer Literaturpreises ausgezeichnet

„Der Einbruch der Dunkelheit bedeutet immer eine große Erleichterung.“ Und Erleichterungen hat Max, der junge Rechtsanwalt und Ich-Erzähler von „Adler und Engel“, bitter nötig. Seine Freundin schießt sich am Telefon eine Kugel in den Kopf – während er am anderen Ende der Leitung mithört. Als Staats- und Völkerrechtler hilft er die vertragliche Basis der sogenannten EU-Osterweiterung vorzubereiten – bis er merkt, dass er directement mitgestrickt hat an einer Art illegaler Freihandelszone für Drogen- und Waffentransfers im großen Stil. Ganz zu schweigen davon, wie er – im einen Moment sympathisch, dann wieder völlig unmöglich – an den Verhältnissen und an sich selbst leidet. So ganz allgemein.

Man müsste lügen, behauptete man, aktuelle politische Ereignisse schrieben sich derzeit wie von selbst in Texte junger Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Tun sie nicht. Es ist fast so etwas wie ein Wagnis, was die 1974 geborene Juli Zeh, die zugleich examinierte Juristin und diplomierte Schriftstellerin ist, hier eingeht. Stilsicher und in vorwärts drängendem Präsens schreibt sie einen blitzsauberen Thriller.

Max lernt die Radiotalkerin Carla kennen, die nur zwei Dinge von ihm will: Seine Geschichte – und seine Vorräte an Orangensaft. Er erzählt, widerwillig, von Jessie, seiner toten Freundin. Ihr Tod gab ihm, der sowieso schon hypersensibel durch die Weltgeschichte schlurft, den Rest.

Und als er mit Carla große Mengen Bargeld unter den Dielen seines Flures entdeckt, verdoppelt sich gewissermaßen die sowieso schon schmerzliche Erinnerung an die Beziehung zu Jessie, seinem Engel. Sie ist nämlich die Verbindung zu mafiosen Strukturen, die nicht nur der Roman, sondern auch die Jury in ihrer Begründung erstaunlich klarsichtig auf den Punkt bringt. Das „Labyrinth“, aus dem die beiden Hauptfiguren fliehen wollen besteht in „mafiosen Verflechtungen von Profit und Politik“.

Man höre und staune: Politik! Geschickt nimmt Zeh die Neuerungen des Mafiafilms auf. Ohne sie bloß zu kopieren, selbstverständlich. Wie beispielsweise in den „Sopranos“ geht es um offenes, nicht um verdecktes Verbrechen, das sich der normalen Gesellschaft bis zu Ununterscheidbarkeit anverwandelt hat. Ein geschickter Schachzug, hat Zeh so doch die Möglichkeit, mit Klischees zu spielen, stilistisch wie inhaltlich.

„Du hast ja keine Ahnung, was in der Welt abgeht“, sagt Max, „und wenn ich es dir erzählen würde, würdest du es nicht glauben“. Was die Autorin uns erzählt, können wir glauben. Nicht weil es so ist, aber weil es so sein könnte. Dass Juli Zeh dabei weder den Plot, noch ihre Sprachkunst sich selbst genügen lässt, sondern überall Verbindungen schafft, macht sie zu einer würdigen Preisträgerin.

Tim Schomacker

Juli Zeh liest am Sonntag, 27. Januar, um 20 Uhr im Schauspielhaus. Neben ihr wird der Verleger des Hanser Verlags, Michael Krüger, auf der Schauspielhausbühne sitzen und Texte des im Dezember tödlich Verunglückten Hauptpreisträgers W.G. Sebald lesen. Beide Preise werden am Montag, 28. Januar, um 12 Uhr in der Oberen Rathaushalle verliehen