TV Today

Die Galerie Barbara Weiss zeigt die neuesten Bilder des preisgekrönten ukrainischen Fotografen Boris Mikhailov

Boris Mikhailov nimmt seinen Fotoapparat – und bleibt zu Haus. Das ist das Neue an den Bildern des vielfach preisgekrönten ukrainischen Fotografen, die nun in der Galerie Barbara Weiss zu sehen sind. Es gäbe schon einiges zu fotografieren, in Berlin, wo er lebt, seitdem er 1996 ein DAAD-Stipdium wahrnahm. Aber zu Hause gibt es mehr. Dank Strom, Satellit und Kabel strömen die Bilder der ganzen Welt wie fließend Warmwasser in die Wohnung: „TV-Mania“ heißt die aktuelle Ausstellung.

249 bisher unveröffentlichte, ungerahmte Schnappschüsse von anonymen Fernsehbildern hat Mihkailov in drei Installationsgruppen gehängt. Die Gruppe im Eingangsbereich zeigt relativ großformatige Fotos von Kampfjets, darunter hängte Mikhailov eine Reihe kleinerer Bilder von Kampfbombern, dazu Luftaufnahmen von Zielgebieten und die berühmten grünstichigen Nachtaufnahmen vom Bombenkrieg in Afghanistan. Sie könnten freilich auch aus dem Golfkrieg stammen, beglaubigte sie nicht die Unterzeile von CNN als aktuell.

Im Hauptraum der Galerie gibt Mikhailov dann einen Überblick zur Frage, „what is tv now“: 180 Fotos zeigen also Bilder von der Fernsehberichterstattung über Politik, Katastrophen, Wissenschaft und Sport, dazu gesellen sich Fotos von Gameshows und Pornofilmen. Es ist ein ironischer Überblick, denn er behauptet den reinen unverfälschten Konsumenten- und Zapperblick zu dokumentierten. Wahrscheinlich wäre das Arrangement der Bilder vor einem halben Jahr nicht so spannend gewesen. Die Terrorangriffe auf New York und Washington sowie der Afghanistankrieg und die diversen Ussama-Bin-Laden-Videos haben dem Fernsehen wieder erneute Wichtigkeit gegeben. Nachdem wir über ein halbes Jahrhundert mit dem elektronischen Medium leben, zeigt sich, dass wir seine Effizienz in der aktuellen Bildberichterstattung nur noch in Wellen wahrnehmen. Es sind schon die realen Ereignisse, die unsere Aufmerksamkeit steuern. Ist nichts los, dann vergessen wir die Kiste zwischenzeitlich auch.

Mikhailov will mit seinem großartigen Bilderbogen natürlich das Gegenteil behaupten. Deshalb spannt er ihn auch von Monica Lewinsky und Bill Clinton bis Afghanistan auf; deshalb mischt sich Sport mit Politik und Porno. Mikhailov hat den manischen Fernseher, den Dauerkonsumenten im Visier. Doch um seine These wirklich zu belegen, fehlt ein Hauptstück der Fernsehunterhaltung: die Soap, etwa „Sex and the City“. Oder anders gesagt: Es ist einfach eine durch und durch männliche Ökonomie der Aufmerksamkeit, die zum Vorschein kommt. Es ist eben Boris Mikhailov, der vor die Kiste sitzt und zappt – so wie er sich selbst porträtiert hat. Ihn attrahieren die Pornos und billigen Werbevideos der Telefonsexarbeiterinnen.

Der männliche Blick wird allerdings durch den Blick des Künstlers gebrochen. Unter die roh an die Wand gepappten Abzüge sind mit Bleistift kleine Bildunterschriften angebracht. Und so liest man unter dem Bild muslimischer Massen „Pointilismus“, unter dem Bild orthodoxer Juden „Impressionismus“ und unter einer amerikanischen Flaggenszene „abstrakt“. Diese scheinbar völlig unangemessene Stilbetrachtung versöhnt sofort mit der wiewohl spannenden, so doch etwas eindimensionalen „TV-Mania“ Boris Mikhailovs.

BRIGITTE WERNEBURG

Bis 16. März, Di–Sa 11–18 Uhr, Galerie –Barbara Weiss, Zimmerstr. 88–91