RAKETENTEST: DER WESTEN MUSS INDIENS PROVOKATIONSKURS STOPPEN
: Schluss mit dem Säbelrasseln!

Indien hat eine neue Kurzstreckenversion seiner Mittelstreckenrakete „Agni“ (Feuer) getestet. In ruhigeren Zeiten würde das kaum jemand bemerken. Indien ist ein Nuklearstaat, und wer A(tom) sagt, muss auch B(ewaffnung) sagen. Zudem hat Indien bereits vor zehn Jahren begonnen, sein Waffenarsenal aufzustocken. Heute verfügt das Land über alle Raketentypen – von Panzer brechenden Kurzstrecken- bis zu Mittelstreckenraketen. Auch Interkontinentalraketen werden entwickelt. Die jüngste Testserie schließt also lediglich eine Lücke.

Nur ein Fall für Rüstungsstatistiker und Friedensforscher also? Der Zeitpunkt verstört – noch mehr, als es der naive Glaube eines bettelarmen Landes an den Sinn von Hochrüstung ohnehin tut. An der indisch-pakistanischen Grenze stehen 800.000 Mann, getrennt durch eine Distanz, die auch ein Mörser leicht überwinden kann. Beide Länder nehmen vorderste Frontpositionen ein, und eine weitere kalte Eskalation ist militärisch nicht mehr möglich, ohne dass der Kriegsfall eintritt. Da ist selbst ein technischer Test ominös, und wenn er 1.500 Kilometer von der Frontlinie entfernt an der indischen Ostküste stattfindet. Delhis beschwichtigende Gesten überzeugen nicht.

Man mag einräumen, dass Indien seinen Intimgegner im Westen vorzeitig informiert hat. Auch ist es durchaus nicht unüblich, dass kurz vor dem indischen Nationalfeiertag am 26. Januar militärische Stärke demonstriert wird. Doch solchen Argumenten steht der Kommentar des Regierungschefs Vajpayee entgegen, der den Technikern und Militärs gratuliert und sie als „Ikonen der indischen Rüstungsbereitschaft“ hochleben lässt.

Pakistan hat sich offenbar entschlossen, negative Signale zu registrieren und andere nicht. Der Test sei ein unfreundlicher Akt, der eine Entspannung erschwere, äußerte ein Regierungssprecher und sprach von der Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufs. Eine Reaktion, die zeigt, wie sehr sich Pakistan gefährdet fühlt – durch einen massiv stärkeren Gegner, der in diesen Tagen keine Gelegenheit auslässt, mit Rambo-Gesten den neuen Freund Amerika nachzuahmen. Die Provokationen richten sich klar gegen einen kleineren Gegner, und dieser, bis zu den Zähnen bewaffnet, reagiert dementsprechend nervös. Das ist ein gefährliches Spiel. Es ist daher an der Zeit, dass die internationale Gemeinschaft Indien ganz klar sagt: Schluss mit dem Säbelrasseln! BERNARD IMHASLY