Bald kommen die Amerikaner

aus Mogadischu BETTINA GAUS

Zwei Angestellte im Büro der privaten Fluggesellschaft Daallo in Mogadischu sind damit beschäftigt, mehr als 800 somalische Pässe in Pappkartons zu verstauen. Alle Dokumente sind nagelneu. Alle enthalten gültige, echte Visa für Saudi-Arabien. Und alle sind auf dem nahe gelegenen Bakara-Markt gekauft. Normale Papiere kosten dort umgerechnet 18 Dollar, Diplomatenpässe knapp das Doppelte. Die Drucker verstehen ihr Geschäft: Die neuen Ausweise sehen genauso aus wie die alten von damals, als es in Somalia noch Behörden gab. Man muss sich halt zu helfen wissen in einem Land, in dem alle staatlichen Strukturen mit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 zusammengebrochen sind.

Allerdings empfehlen sich einige Vorsichtsmaßnahmen. „Die Passagiere bekommen die Pässe erst am Flughafen zurück,“ erklärt der Daallo-Manager. „Sonst werden zu viele weiterverkauft. Mit Visum sind sie wertvoller als ohne.“ Warum stellt Saudi-Arabien überhaupt Visa für gekaufte Pässe aus? Der Manager zuckt die Schultern: „Was sollen sie denn sonst tun? Man darf niemanden an der heiligen Pilgerreise nach Mekka hindern.“ Man versteht, warum manche Leute in geordneten Staaten wie den USA ziemlich nervös werden, wenn sie an Länder wie Somalia denken.

Anlass zur Nervosität

Umgekehrt hätten allerdings auch die Somalis durchaus Anlass zur Nervosität beim Gedanken an die USA. Schließlich ist ihr Land seit Monaten als mögliches nächstes Angriffsziel im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus im Gespräch. Dennoch glaubt kaum jemand in Mogadischu an eine militärische Bedrohung: „Es gibt doch keine Ziele“, meint der Journalist Farhan Momahed Jimale. „Hier sind keine Trainingscamps für Terroristen.“ Das sagen alle Gesprächspartner in Mogadischu. Manche betonen aber auch, dass sich das leicht ändern könne. Der prominente Politiker Ali Khalif Gallaid warnte kürzlich, Somalia drohe ein neues Afghanistan zu werden, wenn die internationale Staatengemeinschaft dem Land nicht endlich beim Wiederaufbau helfe.

Diesen Hinweis halten viele Somalis für unwiderlegbar, weil seit der gescheiterten UN-Operation fast alle internationalen Organisationen das Land verlassen haben. Aus Argumenten werden hier schnell Gerüchte – und Gerüchte sind in dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land schon lange das Fundament felsenfester Überzeugungen. Etwa dieser: Die Amerikaner werden kommen, aber nicht mit Bomben, sondern mit Dollars. Nicht ob, sondern wann: Das ist die Frage, über die in Mogadischu geredet wird. Allein die Erwartung von US-Hilfstruppen hat handfeste Folgen. Einige sind für die Bevölkerung überaus erfreulich.

Beispielsweise der Kurssturz: Der Dollar hat gegenüber dem somalischen Schilling in den letzten Wochen fast ein Drittel seines Wertes eingebüßt. Das Leben wird also nun billiger, denn die hiesigen Preise orientieren sich am Dollar. Vorher hatte die Inflation Schwindel erregende Höhen erreicht, seit die arabischen Staaten vor zwei Jahren wegen einer angeblichen Seuche den Viehimport aus Somalia gestoppt und somalische Geschäftsleute riesige Mengen frisch gedruckte Banknoten ins Land gebracht hatten. Unüberschaubar war die Zahl derer, die sich nicht einmal das Nötigste leisten konnten. „Die meisten schwangeren Frauen leiden an Unterernährung und Anämie“, erklärt die Gynäkologin Habiba Sabrie.

Viele Männer hatten andere Sorgen. Früher landeten in Mogadischu jeden Tag sieben oder acht Flugzeuge, deren einzige Ladung aus dem begehrten Khat bestand, einer pflanzlichen Droge. Derzeit sind es nur noch zwei. Aber jetzt kommen ja bald die Amerikaner. Da muss ja auch Khat bald billiger werden.

Auf den sandigen Straßen, wo Kriegsruinen neben neuen, leuchtend-weißen Häusern stehen, sind außerdem derzeit kaum schwere Waffen zu sehen. Allenfalls ein paar Gewehre. „Haben Sie diesen kleinen, kleinen Warlord gesehen?“, fragt der somalische Dolmetscher amüsiert beim Anblick eines Pick-ups, auf dem ein gutes Dutzend martialisch aussehende Gestalten sitzen, Gewehre in den Händen und Patronengürtel um die Oberkörper geschlungen. „Wer auf sich hält, braucht mindestens dreimal so viele Milizen.“

Die berüchtigten technicals – Kleintransporter mit aufmontierten Maschinengewehren – fahren nicht mehr. Sie stehen in gut bewachten Lagerhallen und Innenhöfen. Schrottreif aber sind sie nicht: „Machen Sie sich keine Sorgen, das kann immer noch töten“, sagt Osman Ato, einer der einflussreichsten Kriegsfürsten von Mogadischu, angesichts eines ramponierten, verrosteten technicals in seiner alten Autowerkstatt. Waffen werden derzeit nicht poliert und zur Schau gestellt. Begehrt ist vor allem, was sich leicht verstecken lässt. Tausend Dollar kostet derzeit eine Pistole, dreimal mehr als noch vor ein paar Wochen.

Für Kriegsfürsten sind die Zeiten ohnehin härter geworden. Sie mögen zwar kleine Teile der Hauptstadt kontrollieren, aber keiner von ihnen kann noch hoffen, die gesamte Macht zu erringen. Außerdem ist Krieg teuer. Die Munitionsvorräte des alten Regimes sind zur Neige gegangen. Manche Kriegsfürsten wurden von einem großen Teil ihrer bewaffneten Anhänger verlassen.

Das alte Stadtzentrum von Mogadischu wird derzeit von keiner politischen Gruppierung kontrolliert. Es ist das Territorium von Leuten, die ihren Lebensunterhalt mit Entführungen und Plünderungen verdienen. Andernorts würden sie wohl Banditen genannt. Hier werden sie als „freiberufliche Milizen“ bezeichnet. Freiberuflich: Das schließt die Möglichkeit späterer, neuer Festanstellung bekanntlich nicht aus. Man wird sehen, was geschieht. Bald kommen ja die Amerikaner.

Optimismus geschwunden

Vor gut einem Jahr war in Mogadischu Hoffnung aufgekeimt, dass die Somalis ihre Probleme selbstständig in den Griff bekommen könnten. Damals waren in einem komplizierten Prozess eine Übergangsregierung und ein Parlament installiert worden. Landesweit sollten alle Clans gerecht an der Macht beteiligt und die Milizen entwaffnet werden. Inzwischen ist der anfängliche Optimismus der Ernüchterung gewichen: „Ich habe viel erwartet, aber jetzt ist die Regierung schon so lange im Amt, und es ist kein Fortschritt erreicht worden“, sagt der Journalist Farhan Mohamed Jimale – eine Meinung, die in Mogadischu weit verbreitet ist.

Nach wie vor kontrolliert die Regierung nur einen kleinen Teil der Hauptstadt, der Hafen muss aus Sicherheitsgründen geschlossen bleiben, und das enttäuschte Parlament hat kürzlich Premierminister Ali Khalif das Vertrauen entzogen und als seinen Nachfolger Hassan Abshir benannt. Der sitzt nun in einem schönen, neu gebauten Amtssitz direkt gegenüber dem Hotel, wo zunächst die gesamte Regierung in bedrämgten Verhältnissen residieren musste. Das ist doch ein Fortschritt. Abshir versucht, Leute wie Osman Ato in sein neues Kabinett zu integrieren – und äußert sich zugleich wenig hoffnungsvoll: „Die Bevölkerung unterstützt uns, aber wir haben kein Geld, um die Milizen zu entwaffnen.“

Gegenwärtig ist nicht einmal Geld da, um die eilig rekrutierten Polizeikräfte zu bezahlen, die im Regierungsviertel der Hauptstadt illegale Straßensperren entfernen. Sie haben seit vier Monaten kein Gehalt bekommen. Dem Vernehmen nach haben einige Polizisten nun selbst neue Sperren errichtet, an denen sie Wegezoll kassieren.

Glaubt auch Hassan Abshir an baldige Hilfe von den USA? „Ich hoffe es.“ Ja, natürlich, aber glaubt er daran? Der Premierminister lacht. „Wie soll ich daran glauben?“ Somalische Politiker mögen alles Mögliche sein – naiv sind sie nicht. Die deutlichsten Worte findet Osman Ato: „Amerika hat in den 90er-Jahren einen Fehler gemacht. Ich hoffe, sie machen nicht noch einen. Im Augenblick scheinen sie nicht einmal einen Plan zu haben. Auch nicht für Bomben. Was soll denn deren Ziel sein?“

Gerechter Zorn

Osman Ato gehört zu den wenigen, die nicht bestreiten, dass es in Somalia islamische Fundamentalisten gibt: „Sie wollen die Macht, und sie werden auch von irgend jemandem finanziert, aber sie sind ausschließlich religiös motiviert. Mit internationalem Terrorismus hat das nichts zu tun.“ Wirklich ärgerlich wird er, wenn er auf die Behauptung von Ussama Bin Laden angesprochen wird, der habe seinerzeit in Mogadischu hinter den Angriffen auf US-Soldaten gesteckt: „Das ist absolut lächerlich. Er und seine Leute waren nicht da. Wir haben sie nicht gesehen. Wir waren es, die Widerstand geleistet haben.“ Das hört sich nicht an wie eine Schutzbehauptung, eher wie der gerechte Zorn eines Mannes, der um die ihm zustehende Anerkennung betrogen wird.

Früher war Osman Ato verbündet mit Farrah Aidid, dem einstmals erbittertsten Gegner der ausländischen Militärintervention. Das Bündnis zerbrach. Heute ist Farrah Aidid tot. Jetzt möchte sein Sohn Hussein – ebenso wie früher der Vater – sehr, sehr gern Präsident werden. Aber es gibt nicht so viele Leute in Somalia, die das eine gute Idee finden. Deshalb sucht Aidid junior die Hilfe eines alten Rivalen: Er sitzt nun in Äthiopien und betont, es gebe in Mogadischu ganz viele Terroristen. Deshalb sei es nur vernünftig, wenn die USA die somalische Hauptstadt bombardierten.

Bomben hält angeblich auch der Kriegsfürst Abdullahi Yussuf für eine gute Idee. Er möchte allerdings lieber, dass sie auf die Hafenstadt Bosaso fallen, wo die Opposition ihn von der Macht vertrieben hat. Nach Ansicht von Abdullahi Yussuf ist diese Opposition terroristisch unterwandert. Bisher ist Bosaso nicht bombardiert worden, aber immerhin wird Abdullahi Yussuf von äthiopischem Militär unterstützt. Auch in Äthiopien gibt es einflussreiche Kräfte, die behaupten, Somalia für einen Hort des Terrorismus zu halten. Addis Abeba hat kein Interesse an einem starken somalischen Nachbarn.

Die USA, die mit Somalia noch eine Rechnung offen haben und sich außerdem für das Öl des Landes interessieren, lassen keinen Zweifel daran, dass sie Äthiopien im Kampf gegen bestimmte Gruppen in Somalia unterstützen. Das kann der Regierung in Mogadischu nicht gefallen – aber der Gedanke an ein feindseliges Verhältnis zu Washington gefällt ihr auch nicht. Was also tun? Ganz einfach: Das Offenkundige leugnen und auf bessere Zeiten hoffen.

„Ich glaube nicht, dass die Amerikaner die Äthiopier unterstützen“, sagt Parlamentspräsident Abdalla Derodu Isaq. „Wenn doch, dann sind sie unsere Feinde.“ Der Premierminister behauptet: „Das äthiopische Militär hat das Land doch verlassen.“ Und dann betont er noch, wie gern seine Regierung mit dem Amerikanern zusammenarbeiten möchte und dass er die internationalen Kontrollen vor der somalischen Küste sehr begrüßt.