Literatur-Tod: Marktwirtschaftliche Zwänge

■ Keine Experimente: Die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung verleiht den mit 30.000 Mark dotierten Bremer Literaturpreis postum an W.G.Sebald. Juli Zeh bekommt den Förderpreis in Höhe von 10.000 Mark

Eine Preisverleihung in Abwesenheit des Preisträgers – so etwas gibt's eigentlich nur dann, wenn der Preis ganz klein und sein Empfänger eine Größe ist. Wenn Preis und Preisträger nicht in einer Liga spielen. Preise sind Statussymbole, für die, die sie kriegen, und die, die sie vergeben. Ein Instrument im durchschnittlichen und alltäglichen Gerangel um Bedeutung und Anerkennung.

Der Bremer Literaturpreis 2002 wurde auch in Abwesenheit des Preisträgers verliehen. Das Prinzip Eitelkeit war am Montag im Rathaus allerdings auf das Drastischste ausgehebelt: Preisträger Winfried Georg Sebald kam im Dezember bei einem Autounfall ums Leben. Sebalds Verleger Michael Krüger nahm die Auszeichnung stellvertretend entgegen.

Und weil sich mit dem Endgültigen so schlecht umgehen lässt, ignoriert man es am besten gleich ganz. Business as usual in der oberen Rathaushalle: Kultursenator Kuno Böse spielte die Leier „Kultur als Standortfaktor“, der „Preis trägt zur Schärfung und zur Stärkung des Bremer Profils als Kulturstandort bei.“ Und dem Verleger Michael Krüger fiel ein: „Die Sprachkenntnis verschleißt so schnell.“ Niemand würde mehr Romane aus dem 19. Jahrhundert lesen. Das ist schlimm. Vielleicht ein Wort zu Sebald? „Er hätte sich über diese Auszeichnung gefreut.“ Das war's. Tote schlafen fest.

Ausgezeichnet wurde Sebald für den Roman „Austerlitz“, der die Suche eines fast 60-jährigen Juden nach den eigenen Wurzeln schildert und so dessen Lebensgeschichte aufrollt. Laudator Konrad Franke lobte „das Ineinander von Erlebtem und Erdachtem, das Erkennen von Auratischem“ und stellte fest: „W.G. Sebalds Kunst ist es, das anscheinend Überflüssige als das Notwendige darzustellen.“ Die Literatur würde damit ein Weg, das Vergangene aufzubewahren. Und Sebald gebe „Aufschluss über einen sich Verschließenden“.

Ernsthaft, arriviert, anerkannt – Sebald ist Hochkultur und bekam auch schon in anderen Städten diverse Preise. Keine Experimente. Spannend war also: Wie läuft's beim Förderpreis? Welchen Nachwuchsliteraten hält man bei den Initiatoren des Preises, der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung, für förderungswürdig? Auch in diesem Fall: Keine Experimente.

Man entschied sich für Juli Zeh, denn ein bisschen Vita muss schon sein: Jurastudium in Passau mit Prädikatsexamen, danach ein Magister im Aufbaustudium Internationales Recht und Europarecht, parallel dazu ein Diplom in Literarischem Schreiben vom Literaturinstitut Leipzig. Ein Romandebüt von 445 Seiten mit einer ganzseitigen Rezension im Spiegel. Das Ganze mit 27 Jahren. Muss man solche Leute fördern?

Juli Zeh schrieb mit „Adler und Engel“ einen „Polit-Thriller, der ein Stück Zeitdiagnose ist und das Psychogramm einer Generation, die cool ist und zugleich so verletztlich“, so Laudatorin Gudrun Boch.

Ein „Roman, der ein grelles Licht wirf auf die Nachtseiten der Fun-Gesellschaft.“ Tatsächlich ist Juli Zeh kein Fräulein-Wunder, keine fernseherprobte Selbstvermarktungsmaschine, obwohl sie das Selbstbewusstsein dafür dicke hätte: „Was sich da aus dem Wasser geschoben hat, soll die Spitze eines Eisbergs sein“ meinte sie über ihr Romandebüt.

Als Schreibantrieb nennt Zeh „Unzufriedenheit mit mir selbst“, bezeichnet sich als „monströs reichen Menschen“ und meint damit ihr Talent, das gepaart sei mit der „Kunst des Unglücklich-Seins“ und der „Angst vor Verlust“. Bei Zeh trifft die nötige Portion Größenwahn auf eine überraschende Ehrlichkeit.

Gleich nach der Preisverleihung steht sie im Vorraum der oberen Rathaushallen bei ihrem polnischen Freund und ihren zwei Hunden, raucht eine Zigarette und wird mit Fragen bestürmt wie: „Was machst Du jetzt mit dem Preisgeld?“ So hastig und entgegenkommend, wie Zeh darauf reagiert, weiß man: Von Image-Kalkül ist sie nicht getrieben. Das erledigt sich wohl ab einer bestimmten Menge Selbstbewusstsein.

Zeh positioniert sich als Autorin, die eine Rückkehr zu „Welt-, Gesellschafts- und Politikbezogenheit“ versuchen möchte. Dabei legt sie sich in's Zeug für die Autonomie der Kunst: „Die Tendenz, sich marktwirtschaftlichen Zwängen zu unterwerfen, ist ein Todesurteil für aussagekräftige Literatur.“ Damit macht Zeh ein Statement, das eine klare Richtung hat: Die Armee der palavernden, maximal marktkompatiblen Pop-Literaten bekommt Gegenwind. Vorausgesetzt, Zeh schafft es so unglücklich zu sein, dass ihr Talent-Eisberg nicht schmilzt. Klaus Irler