Kristalliner Kitsch

Die Wirkung psychoaktiver Pilze, die Begeisterung der Ethnobotaniker und das Orakel von Delphi: Im Tempodrom wurde der Schweizer LSD-Erfinder Albert Hoffmann, der gerade 96 geworden ist, mit einer „Hommage“ geehrt

Das Festprogramm begann mit einer Preview des Films „Das Weiße Rauschen“. Entschlossen, alles gut zu finden, was einem da geboten werden würde, weil einem Hippies schon immer sympathisch waren, war man also losgeradelt ins Yorck-Kino. Nette Bekannte standen neben Monika Döhring, der über 60-jährigen Grande Dame der Goa-Szene, und unterhielten sich über die erstaunliche Wirkung legaler Naturdrogen. Einer kam aus Köln und sagte irgendwann „du, den kenn ich. Das ist doch der Rainer.“ Leider nervte Rainers Film, der einen irgendwie pornografisch in die stressige Welt seines paranoid-schizophrenen Helden mitnehmen wollte.

Dann ging man ins Tempodrom. Die kleine Arena war ausverkauft, obwohl Albert Hoffmann sein Kommen abgesagt hatte. Im Saal kritisierte der sächsische Mykologe Jochen Gartz den gesehenen Film als „pharmakologisches Volksmärchen“. Es gäbe in der gesamten wissenschaftlichen Literatur keinen Beleg dafür, dass psychoaktive Pilze Schizophrenie auslösen könnten. Dann ging es sehr lustig um die Psilocybinforschung im Allgemeinen und Albert Hoffmanns mykologische Verdienste im Besonderen. Man erfuhr, dass hiesige Psilocybinpilze früher zum Beispiel „Wertlos“ hießen, und lachte wissend bei Anekdoten von hungrigen Menschen, die derlei vor hundert Jahren zufällig aßen.

Umjubelt verließ der sächsische Mykologe das Podium. Dann referierte die Kunsthistorikerin Dr. Claudia Müller-Ebeling über LSD in der Malerei. LSD scheint bei Malern zum „kristallin leuchtenden“ Kitsch zu führen. Der hippieeske Ethnobotaniker Dr. Christian Rätsch wirkte lustig behascht, als er von früher erzählte, als Ethnologen begeistert nach Mexiko reisten, um bei schamanistischen Indianerritualen mitzumachen. Einem alten Schamanen hatte er mal LSD gegeben. Der hätte ihm die spirituelle Wirksamkeit bestätigt. Auf einem alten Dia lächelte Albert Hoffmann mit einer Sgt.-Peppers-LP, die ihm die LSD-begeisterten Beatles geschickt hatten.

Micky Remann („der Globaltrottel“), der in den letzten Jahren therapeutische Bäder mit Unterwassermusik u. a. in Bad Sulza baute und demnächst auch im Tempodrom, redete über horizontales und vertikales Denken. Huxleymäßig ging es um die „psychedelische Erfahrung“, die dem Probanden zuweilen existenzielle Todes- und Glückserfahrungen beschert. Schade, dass Heidegger nie LSD genommen hat. Als Remann den jüngst verstorbenen US-Ethnologen Terrence McKenna zitierte, der es schade fand, wenn Leute sterben, ohne eine solche Erfahrung gemacht zu haben, und in den Raum fragte, wer derlei noch nicht erlebt habe, wirkte das etwas albern. Sein Oldschool-Vorschlag, eine Art Drogenführerschein einzuführen, steht übrigens auch im Drogenprogramm der regierenden PDS.

Dann telefonierte der Roger vom Schweizer Nachtschattenverlag live mit Albert Hoffmann. Mit fester, freundlicher Stimme grüßte der ehrwürdige Chemiker die „psychedelische Gemeinschaft“: „Hallo, ich sende euch all meine Liebe und bin mit vollem Herzen bei euch.“ Wir auch! Boyakasha! Respect! Jubel! Den der verdiente Exkollege und ehemalige Hanfhauschef Mathias Bröckers zunächst etwas dämpfte, als er sich aus antiautoritären Gründen gegen die Idolisierung von Albert Hoffmann aussprach und in seiner Grundsatzrede weite Bögen spann vom Orakel in Delphi, in dem die Ratsuchenden LSD-Ähnliches gegessen hätten, hin zu allerlei weit führenden Koinzidenzien.

Irgendwann sagte er, das offizielle Bild des Drogen-Users ähnele dem, das Aliens hätten, wenn sie auf die Erde kämen und den Autoverkehr allein aus der Perspektive der Unfallstationen beurteilen würden. Das ist sicher richtig. Andererseits aber machten sich die versammelten Psychedeliker auch was vor, als sie so sixtiesmäßig die guten Drogen (LSD, Pilze, Hasch) von den bösen (Alk, Speed, Koks usw.) schieden und ignorierten, dass der Mischkonsum (ohne Heroin) auch bei LSD-Freunden oft die Alltagspraxis ist; dass es beim Konsum eben nicht nur um spirituelle Bildungsreisen geht, sondern auch um den Willen zum Exzess, um Autoagressivität, Destruktivität usw. Diese Unwahrhaftigkeit ist natürlich auch Schuld der Verbote. In einem so sympathischen Publikum hatte man allerdings selten gesessen.

DETLEF KUHLBRODT