Hallenbaden unter Gesäßform-Bäumen

Die alte Schwimmhalle in der Krumme Straße ist nicht nur architektonisch ein Kleinod. Von der rüstigen Seniorenschaft über die Schwulenszene bis zum Verein für HIV-Positive: das über 100 Jahre alte Stadtbad ist für viele ein Eldorado

In der alten Schwimmhalle in der Krumme Straße steppt der Bär, genauer gesagt: schwingen 15 alte Damen ihre Körpermassen zu lauten Rhythmen durchs 28 Grad warme Wasser. „Und rückwärts – und vorwärts“, wird die Gruppe von einer am Beckenrand wild gestikulierenden Vorturnerin im schwarzem Body angefeuert. Auf der anderen Seite des Seils, das Nichtschwimmer- und Schwimmerbereich unterteilt, ziehen ein paare alte Herren ganz langsam und beschaulich ihre Bahnen. Keine Kinder und Jugendlichen, die die Ruhe im Becken durch Wasserschlachten stören. Überhaupt scheinen Hektik und Stress in dem 100 Jahre alten Bad ein Fremdwort zu sein. Nicht umsonst ist die in Jugendstil gehaltene Anstalt das Eldorado von Berlins rüstiger Seniorenschaft, weit über Charlottenburg hinaus beliebt. Aber damit wird es bald vorbei sein, wenn der rot-rote Senat die Ankündigung wahrmacht, die alte Halle in der Krumme Straße zusammen mit elf weiteren Schwimmbädern zu schließen, wenn sich kein neuer Betreiber finden lässt.

„Ja sind die denn verrückt geworden? Haben die denn einen Knall“? Die 83-jährige Rentnerin Irmgard S. findet fast keine Worte für ihre Empörung. Dreimal in der Woche geht die Frau, die das Bad seit ihrer Kindheit kennt, mit ihren Freudinnen in der Krumme Straße baden. „Berlin ist eine richtig linke Stadt geworden“, ereifert sich ihre 68-jährige Freundin. Da könne nur noch einer helfen: „Der Schill. Hoffentlich tritt der beim nächsten Mal hier an.“

Während die alten Damen herumstehen und lamentieren, haben andere Badegäste bereits Tatsachen geschaffen. Neben der Kasse liegen Unterschriftenlisten und ein offener Brief an den Senator für Jugend und Sport, Klaus Böger (SPD), aus. Die Krumme Straße sei „die älteste und schönste Schwimmhalle Berlins“, wenden sich die Verfasser des Briefes an Böger. „Wir möchten Sie herzlich bitten, diese Angelegenheit doch noch einmal genauestens zu überprüfen.“

Tatsächlich wäre Berlin um vieles ärmer, wenn das im Jahr 1898 erbaute Bad geschlossen würde. Die Krumme Straße ist das einzige Bad in der Stadt, in dem es noch eine so genannte Reinigungsabteilung gibt: eine Wannen- und Brauseabteilung für Leute, die keine eigenen Räumlichkeiten zur Körperhygiene haben. Aber auch architektonisch ist das Bad mit den geschwungenen Gaslaternen über dem Becken und den Karpfenköpfen an der Fassade ein Kleinod. Unter dem Glasdach schwingt eine Deckenkonstruktion aus Eisen, die an eine Markt- oder Bahnhofshalle erinnert. Die Wände bestehen aus weißen und türkisfarbenen Klinkern. Bei der Restaurierung in den 70er-Jahren wurden die Giebelfenster zugemauert und mit Bildern von einer Seenlandschaft und nackten Badenden bemalt.

Dass einige Bäume eine Gesäßform aufweisen, ist gewollt. „Der schwule Künstler hatte ursprünglich alle Bäume in Poform gemalt“, erzählt ein Stammgast. „Weil es nach der Eröffnung Beschwerden gab, musste er die Bäume übermalen, hat das aber nicht bei allen getan.“ Später sei der Maler, der im Rotlichtmilieu verkehrt haben soll, erschossen worden.

In dem Familienbad fühlen sich aber nicht nur die Senioren wohl. In der Schwulenszene gilt die Halle als Geheimtipp: vor allem Dienstag- und Freitagabends, wenn Nacktbaden angesagt ist. „Da wimmelt es nur so von Männern“, weiß ein Insider. Aber es gibt noch einen anderen Grund: Die Krumme Straße, über die bereits Walter Benjamin schrieb, ist das einzige Bad, in dem HIV-positive Menschen einmal wöchentlich eine Stunde schwimmen dürfen. Dieses Recht hatte sich der HIV-Positiv-Verein vor zehn Jahren erkämpft. PLUTONIA PLARRE