Die Wiederentdeckung der Langsamkeit

■ Oldenburg I: Kabale ohne Liebe. Ein Theaterkonstrukt voll spröder Schönheit

Allein und apathisch steht anfangs Luise, Friedrich Schillers Phantasmagorie von idealisierter Weiblichkeit, auf einer scheinbar endlosen leeren Fläche. Lediglich eine blässlich gelbe Wand begrenzt sie nach hinten. Die übrigen Figuren sitzen vom Publikum abgewandt am vorderen Bühnenrand und beäugen streng die verstörte Außenseiterin. Zögernd erheben sie sich dann, um wie in Zeitlupe über die Bühne zu schreiten oder sich zu starren Formationen aufzustellen, was sie wie Spielfiguren in einer Partie Schach aussehen lässt.

„Handeln ist Silber, Reden ist Gold“ scheint sich Regisseur Laurent Chétouane gedacht zu haben, lässt seine Figuren reden und reden statt zu handeln. Eine erste Berührung zwischen Ferdinand und Luise, sie findet eine halbe Stunde nach Beginn der Inszenierung statt. Doch wenn er sie grob umarmt, zur gemeinsamen Flucht drängt und sie beschützen will, „wie der Zauberdrachen den Goldschatz“, klingt das aus Guido Wachters Mund wie ein Befehl zur absoluten Unterwerfung. „Kabale ohne Liebe“ wird hier gegeben, der Konflikt steht im Vordergrund und nicht die zarten Bande zwischen den Liebenden.

In sehr radikaler Manier sezierte Chétouane die unglückliche Liebesgeschichte zwischen der bürgerlichen Geigerstochter und dem Präsidentensohn, die sowohl an den Ständeunterschieden als auch einer fingierten Intrige scheitert, mit dem Rotstift. Ließ am Ende einzig die Szenen stehen, in denen Luise anwesend ist. Fokussiert werden so in sehr konsequenter Weise Identitätskampf und Scheitern einer jungen Frau – und nicht der Konflikt aufgrund sozialer Konstellationen.

Der streng analytische, emotionslose Blick des Regisseurs auf die Verhältnisse scheint das Ergebnis von mathematischen Berechnungen zu sein, so schnörkellos und klar sind die Bilder. Die historischen Kostüme stehen im Gegensatz zur Leere des Raumes und sind das einzige, was neben der großen Kraft von Schillers bildhafter Sprache sinnliche Lebendigkeit ausstrahlt.

Dass die Schauspieler sowohl vor dem strengen Prinzip der Langsamkeit als auch vor der Macht der Worte in den Hintergrund treten, ist zwangsläufiges Ergebnis von Chétouanes Sicht der Dinge – doch keineswegs ein Verlust. Zwar dürfen sie bisweilen ausbrechen aus der Starre, den Text herausschreien, wie Wachter, der aus der Rolle fällt und Luise sehr ironisch mit den Worten „Das ist mir viel zu theoretisch hier!“ anschreit. Doch werden keine psychologisierten Charaktere gezeichnet oder großer Schauspielkunst Raum gegeben.

Trotzdem: Die junge Lisa Karlström in der Titelpartie trägt die Inszenierung in beeindruckender Manier, fast all ihre gehemmten Gesten, wie das unzählige Male wiederholte Ausbreiten der Arme, unterstreichen dabei ihre Opferrolle. Stets präsent und trotzdem irgendwie abwesend seufzt, spricht, verkündet sie ihren Text mit einzigartigem Gespür für Schillers Worte.

Der Zuschauer muss sich höchst konzentriert auf eine Zeitreise hin zum historischen Text begeben, dessen innere Logik keinen Raum für aktuelle Bezüge lässt. Wer sich aber auf die bisweilen bleierne Schwere der dreieinhalbstündigen Inszenierung einlässt, den erwartet ein eigenwilliges Theaterwunder voll spröder Schönheit. „Kabale und Liebe“ passieren hier fernab vom plumpen und poppigen Transponieren in–s Heutige, mit dem Klassiker so gern behandelt und nicht selten verschandelt werden.

Roland Rödermund

Weitere Aufführungen: Heute sowie am 2., 3., 6., 7., 10., 21., 24. und 28. Februar jeweils um 19.30 Uhr. Karten: 0441-2225-221