„Schluss mit der Dogmatik“

Bildungssenator Klaus Böger (SPD) über das Klinikum Steglitz und die SPD, die Pisa-Studie und das unlösbare Problem des Religionsunterrichts.Ein Gespräch

„Die Uniklinik ist nur das Vorspiel zu dem, was die Stadt noch vor sich hat“„Die Pisa-Studie bedeutet eine kopernikanische Wende“

von SABINE AM ORDE
und ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Erst stimmen Sie dem Koalitionsvertrag und damit dem Aus für das Universitätsklinikum Benjamin Franklin zu, dann äußern Sie laute Zweifel an dem Beschluss. Haben die Interessen des SPD-Abgeordneten Klaus Böger aus Steglitz-Zehlendorf überhand genommen?

Ich lebe gern in Steglitz-Zehlendorf, das ist wahr, aber diese Frage ist kein Regionalproblem. Es geht nicht darum, ob im fernen Südwesten ein Krankenhaus geschlossen wird. Es geht um unser Konzept der Wissenschafts- und Forschungsstadt Berlin.

Dabei scheinen Sie Ihrem Regierungschef Klaus Wowereit in den Rücken zu fallen. Der will nämlich über das Klinikum in Steglitz nicht mehr grundsätzlich reden.

Ich falle niemandem in den Rücken, im Gegenteil: Ich stehe dazu, dass es Einsparungen geben muss. Ich sage aber auch, dass ich Zweifel habe, ob dieser Beschluss tatsächlich die Einsparungen einbringt, von denen bislang ausgegangen wird.

Als Politprofi haben Sie aber auch ein Gefühl dafür, was es bedeuten kann, wenn Sie in einer so angeheizten Situation laute Zweifel am Koalitionsbeschluss äußern.

Ich bin immer optimistisch, dass Sachargumente zählen. Und ich bin dafür, dass wir die Alternativen prüfen. Das UKBF darf nicht zur Frage über die Ernsthaftigkeit dieser Regierung werden. Denn das ist nur ein Vorspiel zu dem, was die Stadt insgesamt an Einschnitten vor sich hat.

Geht es nicht längst um eine grundsätzlich politische Frage? Wenn Rot-Rot beim UKBF einknickt, wird es schwer, andere Sparprojekte durchzusetzen.

Wir haben dann Unterstützung, wenn wir diejenigen, die jetzt protestieren, auffordern, uns Alternativen zu nennen, und diese dann prüfen. Entscheidend ist doch, was am Ende an Strukturveränderungen herauskommt. In Hannover gibt es eine medizinische Hochschule, dieses Modell muss man prüfen. Oder ein Klinikum mit zwei Standorten und andere Optionen.

Schüren Sie nicht falsche Hoffnungen? Das anvisierte Einsparpotenzial soll laut Senat so hoch sein, dass Alternativsparpläne kaum mithalten könnten.

Man kann auch umgekehrt sagen: Wir stehen in der Aufklärungspflicht. Es muss geklärt werden, wie viele Professoren werden abgängig sein, was wird aus dem Personal, kommen Rückzahlungsforderungen vom Bund?

Herr Böger, Sie gehören zum rechten Flügel der SPD und waren extrem skeptisch, was die Zusammenarbeit mit der PDS angeht. Wie sehen Sie das jetzt?

Ich bin kein Flügelmann, ich stehe in der Mitte der SPD. Eine Koalition mit der PDS ist für die Sozialdemokraten ein Wagnis. Eine psychologische und moralische Herausforderung für weite Teile der Stadt. Dem werden wir uns stellen. Bis 1999 war ich der vollen Überzeugung, dass die PDS kein politischer Koalitionspartner ist. Den Bruch der großen Koalition habe ich nach einem für mich sehr schwierigen Abwägungsprozess mitgetragen. Am Tag danach habe ich gesagt, jetzt müssen wir die PDS als möglichen Koalitionspartner ansehen.

Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf: Rot-Rot in Berlin wird mit Sicherheit zur Stoiber’schen Drohkulisse gehören.

Rot-Rot hat regionale Bedeutung, das gilt nur für die Landespolitik. Und ob die CDU das zum Thema macht oder nicht: Die Hauptstadt steht so oder so unter Druck.

Ihr Thema, die Bildungspolitik, wird im Wahlkampf auch eine wichtige Rolle spielen. Graut es Ihnen schon vor dem Frühsommer, wenn der innerdeutsche Ländervergleich der Pisa-Studie vorgestellt wird?

Mir graut immer nur vor geistigen Tieffliegern und Schnellschüssen. Ich habe den Beschluss der Kultusministerkonferenz, dass sich Deutschland an der Pisa-Studie beteiligt, sehr unterstützt. Wir haben mit 7 Schulen am internationalen Vergleich und mit 94 Schulen am nationalen Vergleich teilgenommen. Ich bin energisch dafür, Qualitätskontrollen in das Bildungssystem einzuführen. Allerdings muss man auch mit den Ergebnissen fertig werden.

Aber Herr Stoiber wird sich freuen, wenn Bayern und Baden-Württemberg auf den vorderen Plätzen liegen und ein Teil der SPD-regierten Länder schlecht abschneidet.

Das müssen wir erst mal abwarten. Zu den möglichen Ergebnissen äußere ich mich jetzt nicht. Natürlich müssen dann die unterschiedlichen Ausgangslagen berücksichtigt werden. Wir haben schon vor Pisa Reformschritte eingeleitet.

Pisa hat unter anderem gezeigt, dass bei den Kitas und Grundschulen großer Handlungsbedarf besteht. Und genau da kürzen Sie jetzt.

Wir werden mehr Ganztagsgrundschulen einrichten. Aber es stimmt, bei den über 6-Jährigen wird gespart. Die Gruppengröße der Hortkinder im Westteil der Stadt wird der im offenen Ganztagsbetrieb im Ostteil angeglichen …

Was bedeutet, dass eine Erzieherin statt für 16 künftig für 21 Kinder zuständig ist.

Das ist nicht schön, aber angesichts der Finanznot aber leider notwendig. Außerdem wird bei den Leiterinnen die Freistellung leicht abgeschmolzen.

Kita-Leiterinnen befürchten, wenn sie mit der Hälfte ihrer Arbeitszeit in den Kindergruppen sind, dass Ihnen keine Zeit mehr für die Verbesserung des pädagogischen Konzepts in den Kitas bleibt – und genau da muss doch etwas geschehen.

Wir wollen die Aus- und Fortbildung verbessern. Und wir tun auch was. Wir beteiligen uns an dem Modellversuch auf Bundesebene zur Reform der Erzieherinnen-Ausbildung und wir haben mit dem Pestalozzi-Fröbel-Haus eine Ausbildungsstätte mit Modellcharakter. Ich glaube, dass wir besser werden können, trotz der Reduktion bei den Kita-Leiterinnen.

Besonders dramatisch sieht es bei Kindern mit Migrationshintergrund aus. Was werden Sie tun?

Wir werden Sprachstandserhebungen für Kinder ab vier Jahren im Kindergarten einführen, zum Beginn der Vorklasse und auch in den Klassen 3 und 6.

Tests alleine ändern noch nichts.

Wir müssen zunächst wissen, wo wir stehen. Dann müssen wir die Sprachfähigkeiten in Deutsch entwickeln. Da gibt es gute Modellversuche, wie den zweisprachigen Unterricht. Der ist sehr kostspielig und wird deshalb in der Breite nicht durchsetzbar sein.

Was ist die Alternative?

Ich weiß, dass die Sprachwissenschaftler sagen: Die Zweitsprache kann man nur lernen, wenn man die Muttersprache beherrscht. Aber was macht man, wenn die Sprachfähigkeit auch in der Muttersprache nur schlecht ausgeprägt ist? Ich sage: Wir müssen vor allem Deutschkenntnisse vermitteln. Sie sind der Schlüssel zum Erfolg im Bildungssystem.

Heißt das im Klartext: Wir lassen den zweisprachigen Schickschnack?

Nein, Modellvorhaben sollten dort stattfinden, wo es homogene Gruppen gibt. Aber die Hauptkonzentration muss darauf liegen, Deutsch zu vermitteln. Wir müssen eine Methodik und Didaktik des Deutschlernens entwickeln, die in den Kitas möglichst früh zum Tragen kommt. Und dafür ohne den heiligen Bürokratius genügend Mittel und Manpower bekommen. Außerdem gibt es diese wunderbaren Sprachkurse für Mütter, die durch Umlage zwischen den Volkshochschulen finanziert werden. Diese Kurse müssen wir stärken.

Aber die Zukunft dieser VHS-Kurse ist unsicher, weil die Bezirke kein Geld haben.

Das muss in den Haushaltsverhandlungen geklärt werden. Das ist aber keine Aufgabe, die wir den Verhandlungen zwischen den Bezirken überlassen dürfen. Außerdem verfolge ich mit Interesse die Debatte über das neue Einwanderungsgesetz. Es muss klar werden: Der Bund kann nicht diejenigen, die die Hauptlast zu tragen haben, mit dieser Aufgabe allein lassen.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung?

Finanzielle Unterstützung, um es ganz schlicht zusagen. Wir müssen Kurse anbieten können und brauchen dafür Geld.

Wie viel?

Gegenwärtig ist es nicht sinnvoll, wenn Berlin gegenüber dem Bund Summen nennt.

Wie wollen Sie die Unterrichtsqualität in Berlins Schulen verbessern, Herr Böger?

Das beginnt im Kopf. Das Erste, was wir erreichen müssen, ist Schluss mit der Tür-zu-Pädagogik, diesem Denken: Was ich im Klassenzimmer mache, ist meine Angelegenheit; über Ergebnisse und Methoden wird leider nicht offen genug gesprochen.

Wie wollen Sie das ändern?

Das werden ein neues Leitbild Schule prägen. Es soll zukünftig nicht mehr möglich sein, dass in einer Schule mit erweiterter Selbstständigkeit, die Profil hat und auch Wettbewerb zu fairen Bedingungen bietet, über diese Frage nicht systematisch gesprochen wird.

Wie wollen Sie das erreichen, Herr Böger?

Aufgebrochen worden ist das bereits durch Pisa. Dass wir nach der Veröffentlichung erstmalig bewusst über Qualität in deutschen Schulen reden, das ist der eigentliche Durchbruch. Ich bin tief erleichtert, dass Schluss mit der Dogmatik ist. Das ist wie eine kopernikanische Wende.

Eine Frage, in der es aber durchaus um Dogmatik geht, ist der Religions- und der Islamunterricht. Das Thema haben Sie im Koalitionsvertrag gar nicht erst angerührt.

Nach der gegenwärtigen Rechtslage kann die Islamische Föderation islamischen Religionsunterricht anbieten.

Die Islamische Föderation erscheint wegen ihrer Kontakte zu der als extremistisch eingestuften Milli Görüs im Verfassungsschutzbericht.

Klar ist, dass ich mit dieser Lösung nicht zufrieden bin …

Sie wollen ein Wahlpflichtfach Religion. Da ist mit Ihrer Fraktion aber nicht zu machen. Die PDS möchte am liebsten nur den Sozialkundeunterricht erweitern. Was wollen Sie tun?

Ich will vor allem mehr Verbindlichkeit. Gegenwärtig sehe ich nicht, wie ich bei der Rechtslage und den Mehrheitsverhältnissen im Parlament dieses Problem lösen kann. Ich habe durchaus Sympathie für die Position des Türkischen Bundes, der nicht-bekenntnisorientierten Islamkundeunterricht will. Das strukturelle Problem ist damit aber nicht gelöst. Eine Möglichkeit könnte ein Leitfach sein, in dem es um Ethik, Philosophie und Religionkunde geht. In entsprechenden Fenstern gäbe es dann zusätzlich die bekenntnisorientierten Fächer. Das aber wollen die christlichen Kirchen nicht, weil es eine Modifikation von LER ist. Eine Lösung ist derzeit nicht in Sicht.

Das ist ein bisschen mager. Nach einer Studie der Ausländerbeauftragten würden mehr als die Hälfte aller türkischen Eltern mangels Alternativen ihre Kinder in den Unterricht der Islamischen Föderation schicken. Das können Sie doch nicht einfach laufen lassen.

Ich führe einen Riesenkampf um Ressourcen, um Verbesserung von Strukturen. In meiner Aufgabenliste gibt es zunächst wichtigere Fragen.