Quo vadis, Gesundheitsreform

Astreines Schwuchtelkraut und mittelmäßige Beschwerden in der Nasennebenhölle

Mit spitzen Fingern nahm er die blutigen Polypenkameraden und warf sie ins Wasser

„Ach, Atemwegsbeschwerden. Sieh mal einer an“, sagte der Mediziner gedehnt; es klang wie Aaahtemwege. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt war Mitte 40, ein fünfschrötiger Klotz von einem Mann mit beginnender Mittelkopfglatze und einem Kreuz wie ein Kohlenhändler. Er lehnte sich seitlich in die Türfüllung seines Behandlungszimmers, schlug ein Bein vor das andere und sah auf seine Fingernägel. Sie waren auf Hochglanz blank poliert, damit er sich wohlgefällig in ihnen spiegeln konnte, während er nach außen hin den Eindruck erweckte, er betrachte höchst nachdenklich seine Nägel. Er sah ins Leere; aus der rechten Tasche seines rotgesprenkelten weißen Rohseidekittels fummelte er eine grün-weiß-goldene Zigarettenschachtel.

Mit unverhohlenem Widerwillen sah er mich an. „Atemwege! Und damit kommen Sie zu mir? Wollen Sie mich zu Tode langweilen? Haben Sie sich im Telefonbuch in meinen Namen verknallt, oder hat mich einer dieser Versager von Patienten empfohlen? Soll ich jetzt einen Tanz aufführen: Ach, Atemwege? Das ist ja hochinteressant! Toll! Suuuper! Ein Patient ganz nach meinem Herzen! – Ja? Haben Sie sich das so vorgestellt?“

Mit einem bärenbraunen Bic-Feuerzeug zündete er sich eine Zigarette an; im Raum verbreitete sich Mentholgeruch. „Was dagegen, wenn ich rauche?“, bellte er und pustete den Qualm in meine Richtung. Stechend sah er mich an. „Das ist zwar ein astreines Schwuchtelkraut hier, aber kommen Sie bloß nicht auf blöde Gedanken. Ich bin ungefähr so schwul wie John Wayne.“

Ich saß in einem tiefen Sessel, der mit schwarzem Kunstleder bezogen war, und fühlte mich unbehaglich. Sehr gerne wäre ich aufgestanden und gegangen, aber er stand im Weg, massig, und er sah nicht so aus, als würde er ein Publikum freiwillig ziehen lassen, wenn er es erst mal am Haken hatte. Was war das für ein Arzt? Dr. No? Ein Sadist im Überbau? Hatte der Kerl den hippokratischen Eid auf Doktor Mengele geleistet? Jedenfalls schien er Gedanken lesen zu können.

„Hippokratischer Eid?“ Er lachte schmaddrig, hustete und spie etwas Grünbraungelbliches auf den Praxisboden. „Kommen Sie mir bloß nicht damit. Sie haben ein mittelmäßiges Problem, das mich anödet. Ich mache Ihnen das weg, Sie zahlen, und dann dann sind wir quitt. Mehr ist nicht drin, Freundchen. Also jetzt Titten auf den Tisch und Butter bei die Fische!“

Ich wusste überhaupt nicht mehr, was ich hier sollte. Ich war hier so was von falsch, das war klar, aber sonst gar nichts. Was der Mann von mir wollte, blieb im Dunklen – nicht lange allerdings: „Wird’s bald? Kohlen rüber! Die großen Scheine, und alle zu Papi! Zahlemann und Söhne! Nu mach mal hinne. Gesundheitsreform, verstehste? Bar auf die Kralle. Lass rüberwachsen die Schore: Penunsen zu Doktor Püttmann! Bist doch sonst nicht so schwer von Kapee! Nööich?“

Ich resignierte, fasste in die Gesäßtasche und holte einen warmen Klumpen Zerknittertes hervor; einige Münzen fielen zu Boden und rollten umher. Der Arzt sah es mit Missbilligung und hisste die Brauen wie eine schwarze Flagge; kurz überschlug er den dargebotenen Geldwert, schnappte die Scheine, grunzte mäßig affirmativ und stupste mich mit der flachen linken Hand in den Behandlungssessel zurück.

In seiner Rechten hielt er jetzt ein längliches Metallgerät; an der Spitze befand sich eine Drahtschlinge. Er stieß sie mir tief ins rechte Nasenloch. Ich wimmerte auf. „Ja, wehtun muss es. Was nicht wehtut, hat keine Wahrheit!“, sagte er, eher sachlich als triumphierend. Dann schnitt er, wieder und wieder, erst rechts, dann links. Mit einer Pinzette zog er Polypen aus meiner malträtierten Nase, sieben aus jedem Nasenloch, Grottenolme verschiedener Größe, der mächtigste hatte die Ausmaße eines kleinen Fingers. Desinteressiert schnippte er sie auf ein Metalltablett. „Schnauben und ab dafür!“, sagte er unfreundlich, warf mir eine Rolle Küchenkrepp zu und wies mit dem Daumen über die Schulter. Ich machte, dass ich fortkam, und verließ die Nasennebenhölle. Im Gehen sah ich noch, wie er das Tablett packte und damit an ein Aquarium trat. Mit spitzen Fingern nahm er die grau-blutigen Polypenkameraden und warf sie ins Wasser. Reihen von rasiermesserscharfen Zähnen zerrissen sie. Doktor Püttmann fütterte seine Piranhas. Sein Lächeln war dünn wie ein Kassenbon.

WIGLAF DROSTE