POLENS GELDFORDERUNGEN GEFÄHRDEN DIE EU-OSTERWEITERUNG
: Kassenwarte gegen Beitrittsbauern

Nun ist es endlich raus: Es wird in der EU Mitglieder zweiter Klasse geben oder es wird keine EU-Erweiterung geben. Erst 2013, und damit fast ein Vierteljahrhundert nach den Revolutionen in Ostmitteleuropa, sollen polnische Bauern ebenso bezahlt werden wie französische. So lautet der Plan der EU-Kommission, mit dem sie heute die Verhandlungen über die schwierigsten Kapitel des Beitritts erst wirklich eröffnet.

Die lautstarken Proteste in Ostmitteleuropa gegen diese Brüsseler Vorlage sind verständlich. Bereits zum zweiten Mal – nach der deutschen Forderung, die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu beschränken – setzten die Altmitglieder ihre Interessen gegen die neuen durch. Zugleich sind die Forderungen nach Gleichbehandlung aber auch unehrlich. Und vor allem – sie sind falsch.

Spätestens seit der Einigung auf die Agenda 2000 vor fast drei Jahren hätte auch den Polen klar sein müssen, dass im Haushaltsplan, der bis 2006 reicht, keine Direktsubventionen für Beitrittsbauern vorgesehen sind. Zudem sei daran erinnert, dass Direktzahlungen einst eingeführt wurden, um Preissenkungen auszugleichen. Die Ostbauern konnten ihre Einkommen jedoch durch lukrative Westexporte steigern. Außerdem würden hohe Subventionen das soziale Gleichgewicht im vergleichsweise armen Beitrittsgebiet durcheinander bringen: Bauern wären auch bei recht geringen Zuschüssen plötzlich Großverdiener. Wo aber bleiben die Arbeiter?

Beharrt Polen auf seiner Forderung nach Direktzahlungen, werden die Verhandlungen zunächst verzögert und schließlich scheitern. Denn die Aussichten, dass sich die EU-Staaten darauf einlassen, sind gleich null. Berechnungen über die Kosten der Erweiterung ohne Reform der Förderung zeigen, dass allein Deutschland mit einer Mehrbelastung zwischen 100 und 150 Milliarden Euro innerhalb von zehn Jahren zu rechnen hat. Zeigt sich Warschau aber nach erstem Widerstand schließlich zu Kompromissen bereit, wird die Zustimmung in den ländlichen Regionen zur EU weiter sinken – das Beitrittsreferendum könnte scheitern.

Daher bleibt beiden Seiten jetzt nur die Flucht nach vorn. In Brüssel beginnt dieses Jahr die Überprüfung der Agenda 2000. Dabei geht es natürlich auch um die Reform der Agrarpolitik. Sind die Wahlen in Deutschland und Frankreich erst mal vorbei, stehen die Chancen für einen Abbau der Direktsubventionen und eine stärkere Förderung der ländlichen Entwicklung gut. So attraktiv sie den Beitrittskandidaten auch scheinen: Die agrarpolitischen Fehlentwicklungen, die in der EU jetzt so mühsam korrigiert werden, sollten den Beitrittsländern erspart bleiben. SABINE HERRE