Wer verwaltet die Subventionen aus Brüssel?

Warschau pocht auf EU-Unterstützung in voller Höhe – doch ob man in der Lage ist, diese effektiv zu verteilen, ist bisher fraglich

Nirgendwo zwischen Oder und Bug ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie im ländlichen Raum –und auch die EU-Skepsis

SZKOTOWO taz ■ Müde liegen die mächtigen Zuchteber im Stroh. Nachdenklich lässt Boleslaw Tolloczko den Blick über seinen grunzenden Besitzstand schweifen. 5.000 Schweine beherbergt sein Modellbetrieb im nordpolnischen Szkotowo unweit von Olztyn (Allenstein). Seine Tiere würden „artgerecht“ gehalten, beim Futteranbau nur 10 Prozent der im Westen üblichen Düngermenge eingesetzt, so der 61-jährige Landwirt. Er produziere billiger und besser als die westliche Konkurrenz, ist Tolloczko überzeugt: „Aber die haben Subventionen für Diesel, den Anbau von Korn und das Viehfutter – ich nicht.“

Angst habe er vor allem, dass nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union für eine Übergangszeit die westlichen Konkurrenten Subventionen einstreichen, während die polnischen Landwirte leer ausgehen: „Ein ehrlicher Wettbewerb ist nur dann gegeben, wenn alle die gleichen Preise erzielen können: Man kann ein Rennen nicht gewinnen, wenn der andere schon eine halbe Strecke Vorsprung hat.“ Tolloczko, dessen Unternehmen 900 Hektar Land und 35 Mitarbeiter hat, zählt zu den wenigen Großbauern Polens.

Die Durchschnittsgröße der rund zwei Millionen Landwirtschaftsbetriebe liegt bei 7,7 Hektar. Fast die Hälfte von ihnen produziert nur für den Eigenbedarf. Sie werden darum auch nach dem EU-Beitritt nicht direkt in den Genuss des Brüsseler Subventions-Füllhorns kommen. Nur 0,4 Prozent der Höfe fällt mit mehr als 50 Hektar unter die Kategorie der Großbetriebe.

Nirgendwo in der Europäischen Union leben mit 38 Prozent so viel Menschen auf dem Land wie in Polen. Noch immer bestreitet fast jeder fünfte Pole seinen Lebensunterhalt mit der Landwirtschaft. Doch nirgends ist zwischen Oder und Bug die Armut so groß, die Arbeitslosigkeit so hoch wie im ländlichen Raum. Fast die Hälfte der drei Millionen registrierten Arbeitslosen Polens wohnt auf dem Land, auf eine knappe Million Menschen wird dort der Umfang der versteckten Arbeitslosigkeit geschätzt: Ein Viertel der Landbevölkerung lebt so unter oder am Rand des Existenzminimums.

Der EU-Beitritt Polens könnte den überfälligen Strukturwandel des heimischen Agrarsektors forcieren, der von Warschau ersehnte Subventionssegen aus Brüssel gleichzeitig die sozialen Folgen etwas abfedern. Direktbeihilfen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sollen nach dem Willen Warschaus Polens konkurrenzfähigen Landwirten endlich zu einem erträglichen Einkommen verhelfen, EU-Förderprogramme für den ländlichen Raum die Schaffung neuer Arbeitsplätze initiieren: Denn die hohe Arbeitslosigkeit erschwert den unrentabel produzierenden Kleinbauern bisher den Wechsel in andere Berufe.

Mit „sehr schwierigen Gesprächen“ rechnet allerdings die stellvertretende Außenministerin Danuta Hübner bei den noch bevorstehenden Verhandlungen um die Höhe der Agrarsubventionen. Bei zu großen Zugeständnissen in Brüssel muss Polens Regierung um den Ausgang des für 2003 anberaumten Referendums über den EU-Beitritt fürchten: Gerade auf dem Land ist die Skepsis gegenüber dem Wohlstandsbündnis groß. Auch um Wettbewerbsnachteile für Polens Bauern zu vermeiden, pocht Warschau auf Direktzahlungen in voller Höhe: Den jetzt bekannt gewordenen EU-Plan, sich zunächst mit 25 Prozent der Zahlungen an die Landwirte der „Alt“-Mitgliedsstaaten zu bescheiden, lehnt in Warschau nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition entschieden ab.

„Für uns sind diese Bedingungen nicht annehmbar“, sagte etwa Vizepremier und Landwirtschaftsminister Jaroslaw Kalinowski während des Deutsch-Polnischen Forums in Warschau an diesem Wochenende. Die polnischen Landwirte hätten so keine Chance, mit den Bauern im Westen zu konkurrieren, dies sei eine „Mitgliedschaft zweiter Klasse“. Wie stark die Ablehnung ist, zeigt sich auch daran, dass eben nicht nur der Chef der Bauernpartei Kalinowski, sondern auch ein Vertreter des europafreundlichen Bürgerforums PO die Höhe der Direktzahlungen als Schlüsselfrage der Beitrittsverhandlungen bezeichnet.

Sollten Polens Bauern in den Genuss der bisherigen Zahlungen an die EU-Landwirte kommen, könnten laut Berechnungen der Presse jährlich bis zu vier Milliarden Euro an Direktbeihilfen in den Agrarsektor fließen. Schwierigkeiten hat das Land jedoch bei der Schaffung der nötigen Institutionen, die zum Empfang des ersehnten Subventionssegens berechtigen. Zahlreiche Skandale haben beispielsweise die Installierung des so genannten IACS-Systems zur erforderlichen Registrierung der Bauernhöfe verzögert. Noch immer ist kein Cent der längst bewilligten Mittel aus dem Sapard-Programm zur Stärkung der ländlichen Infrastruktur der Beitrittskandidaten nach Polen geflossen, da dort die Agentur zur Verteilung der Gelder wegen der Diskrepanzen zwischen dem heimischen Recht und dem der EU von Brüssel noch nicht akkreditiert wurde. Dennoch wird Hübner nicht müde, um Verständnis für Warschau zu werben: Während Slowenien im Agrarbereich nur drei Gesetzesänderungen zur EU-Harmonisierung vorzunehmen habe, seien es in Polen 108.

PAWEL SMUDA