Geschlechterfrage erhält Frischluft

■ Eingang B. / Tritte und Atem von Samuel Beckett im B-Movie

Eingang B. also. Eingang um die Ecke. Zugang erschwert oder verwehrt. Nicht nur symbolisch geht es zum Theaterstück Eingang B. im B-Movie um einige Ecken. Bevor das eigentliche Stück – Tritte (1975) von Samuel Beckett, das Stück im Stück – beginnt, isst „Herr W.“ (Tomek Nowicki), an einer Art Regiepult sitzend, erst einmal seine Banane auf und löscht dann ordnungsgemäß das Saallicht. Wie eine verkürzte Version von Krapp aus Becketts Das letzte Band „spult“ er die CD-Tracks und blendet den Ton ein und blendet ihn aus.

Er ist der eigentliche Herrscher über den Ablauf und die – wie in Becketts Stücken häufig – äußere, hier nur ausnahmsweise sichtbare Macht, die das Schicksal (bei Be-ckett heißt das immer: Anfang und Ende von Reden oder Text) der beiden „Schauspielerinnen“ genannten Frauen auf der Bühne reguliert. Auf sein Zeichen springen die beiden Frauen (Regina Stötzel, Charlotte Crome) auf, ziehen sich hellblaugraue Kostüme an und beginnen mit Tritte, drei aufeinander folgenden Gesprächen zwischen Mutter und Tochter. Auf das gleiche Zeichen verwandeln sie sich wieder zurück in die Schauspielerinnen. Ihre Erinnerungen an Goldfische und offene Vogelkäfigtüren werden vom „Regisseur“ via CD-Player wachgerufen. (Diese Texte stammen von Stötzel, Crome u.a. selbst.)

Vordergründig geht es in Tritte um die Fürsorge der Tochter May zur alternden Mutter; untergründig dreht sich ein fast psychoanalytisches „Es, es alles, wo es begann“ in die Beziehung hinein. Dieser urmythische Abgrund oder Beginn findet seine einzige Erlösung in den von Beckett streng choreographierten Schritten: neun hin, neun zurück. Becketts Mutter May, die an Schlaflosigkeit litt, soll nachts in ihrem Zimmer auf- und abgegangen sein.

Der Orientierungslosigkeit im Mutter-Tochter-Verhältnis und den wechselnden Sprecherrollen (gespielter und erzählter Dialog) in Becketts Text stellt Regisseurin Patricia Tiedtke in ihrer Inszenierung die vergleichsweise klare Beziehung zwischen den „Schauspielerinnen“ entgegen. Wie ungleiche Schwestern grimmen und lächeln die sich abwechselnd an. Die eine in Hose, auf flachen Sohlen; die andere in Rock und hochhackigen Schuhen. Sie versuchen, sich – ges-tisch-minimalistisch – gegenseitig die Show zu stehlen und die Kollegin in den Schatten des Rampenlichts zu stellen.

Am Ende kommen sie – Konkurrentinnen, Freundinnen, Schwes-tern, Mutter und Tochter – sich einen Moment kurz nah, bleiben aber im letzten Teil der Tritte im kalten Licht der Entfremdung eingefroren: „Wirst du nie aufhören, es alles hin- und herzuwälzen?“

Da hingen die Radpedale, aus Becketts Romanen als Motiv des erfolglosen Umherirrens bekannt, schon lange auf der Bühne an der Wand. Durch ihr Doppelspiel strukturiert Patricia Tiedtke den Text und baut damit eine (immer nur vorläufig) verlässliche Struktur zum Verstehen bzw. Nicht-Verstehe-Können des perpetuum-mobilen Mutter-Tochter-Verhältnisses, das auch für andere inter- und intrageschlechtliche Beziehungen steht. (Die „Schauspielerinnen“ bleiben dem „Regisseur“ W. unterstellt, der auch ihre Erinnerungen kontrolliert.) Für die zeitgenössische Be-ckett-Interpretation ein erstaunliches Ergebnis.

Erst nach dem Schluss bläst sich Becketts Kurzkomödie Atem (Dauer: 35 Sekunden) als Frischluft geräuschvoll durch die Lamellen der Klimaanlage in das Dunkel und Schweigen des Raumes.

Christian T. Schön

1. und 4. Februar, 20.30 Uhr, B-Movie, Brigittenstr. 5