Barocke Selbstinszenierung

Körperkult als Debattenbeginn über Schönheitsideale: Die französische Performance-Künstlerin Orlan auf Kampnagel  ■ Von Marga Wolff

Das Messer setzt dicht am Ohrläppchen an, schneidet, geführt von geschickter, von Latex geschützter Hand, eine gezeichnete, rote Linie entlang. Die Haut klafft. Es fließt Blut. Schläuche schieben sich in die Wunde. Saugen ab, höhlen aus, stopfen nach. Schönheitschirurgie ist ein brutales Geschäft. Die französische Künstlerin Orlan begibt sich öffentlich unter das Messer der plastischen Chirurgen – jedoch nicht der Schönheit halber, sondern allein um der Kunst willen. Am 2. Februar ist die radikale Body-Art-Performerin zum ersten Mal in Hamburg zu Gast. Dies ist mein Körper... dies ist meine Software – wobei sie mit Letzterer den Geist bezeichnet – hat Orlan ihren Vortrag betitelt, mit dem sie in der Performance-Reihe „Zeig mir Dein Fleisch!“ auf Kampnagel ihre Theorie der Diskrepanz von Körper und kreativem Geist illustrativ erläutern wird. Das Alabama-Kino zeigt dazu ihren Film Orlan, Carnal Art; auf Kampnagel ist außerdem ihre Videoinstallation Opération Réussie zu sehen. Ihren Körper, sagt Orlan, habe sie der Kunst geschenkt und ihn somit zum Austragungsort öffentlicher Debatten über Identität und Körperideologie erklärt. Vernetzt mit den Kunsttempeln rund um den Erdball, steht sie Kritikern und Kuratoren Rede und Antwort, während ihr Gesicht unter örtlicher Betäubung in eine neue Form gezwungen wird.

1990 war sie die erste Künstlerin, die den plastisch chirurgischen Eingriff an sich selbst in den Kontext der bildenden Kunst stellte. Seither hat sich die heute 54-Jährige bereits zehnmal unter das Messer begeben. Siebzehn Jahre jung, hatte sie 1964 in ihrem Heimatstädtchen St.Etienne in einem feierlichen Ritual ihre „Geburt als Künstlerin“ zelebriert. Auf weißem Laken hob sie damals eine Skulptur ihrer selbst aus ihrem Schoß hervor.

Orlan, die seit 1983 in Paris lebt, gehört jener Generation von Künstlern an, die in den 60ern und 70ern begannen, die Trennung zwischen Kunst und Realität, zwischen ihrem Werk und ihrer Persönlichkeit als Künstler aufzuheben. Im Zuge der Frauenbewegung waren es vor allem die Künstlerinnen, die hier den eigenen Körper mit patriarchalisch geprägten Rollenbildern konfrontierten. Fragen zu einer weiblichen Identität ging Orlan stets zweigleisig an, sowohl autobiographisch als auch historisch. In surreal barocken Selbstinszenierungen und grotesken Stilisierungen von Weiblichkeit reibt sie sich da, oftmals ironisch, an der Ikonographie der christlichen Kirche und an Zitaten aus der Kunstgeschichte. Jungfrau und Hure, die weiße und die schwarze Madonna sind wiederkehrende Themen. Und ausgeschabte Fettpölsterchen in Formaldehyt erklärt sie nach gelungenem künstlerischen Transformationsakt kurzerhand zur Reliquie. Courbets berühmte Vagina-Skulptur Ursprung der Welt re-interpretiert Orlan mit dem Bild eines nackten Mannes mit erigiertem Geschlechtsteil als „Ursprung des Krieges“.

Immer wieder zielt sie darauf, den weiblichen Körper unmittelbar mit standardisierten (und meist männlichen) Maßstäben zu konfrontieren. Später überträgt sie Gesichtsbemalungen und kosmetische Modellierungen afrikanischer Stammeskulte auf ihr europäisches Gesicht. In Indien begibt sie sich auf die Spuren der wandlungsfähigen Göttin Kali. Anthropologisch mythologische und philosophische Forschungen fließen in ihre Kunst ein, die sich letztlich in am Computer generierten Vorlagen für ihre Gesichtsoperationen manifestieren. Hybride Kreuzungen, in denen sich westliche Schönheitsideale und eine archetypische Ästhetik fremder Kulturen mischen. In dieser Zeit tritt sie stets mit zweigeteilter Haartracht auf – die eine Hälfte blond, die andere schwarz gefärbt.

Orlan liebt das Spektakel und versteht dessen Vermarktung. Die Diva ist durch und durch Kunstfigur. Und angesichts des Alltags in Kosmetiksalons und auf OP-Tischen, der klammheimlich schon aberwitzige Züge angenommen hat, hält sie der westlichen Welt den Spiegel vor.

1. Februar 2002, 21.30 Uhr, k3 Videoinstallation Opération Réussie. 2. Februar 2002, 21.30 Uhr, p1 Vortrag: Dies ist mein Körper... dies ist meine Software