Walter lässt Puppen tanzen

■ „Der Volksvertreter“ heißt eine Papiermaschine des Ex-Grünen-Abgeordneten Walter Ruffler / Mit Liebe und großem Erfolg ist er unter die Konstrukteure gegangen

Er war ein Anhänger der Rotation – und ist einer geblieben. So könnte man den Weg von Walter Ruffler, der in den neunziger Jahren für die Grünen in der Bremer Bürgerschaft saß und heute wieder seinem Beruf als Lehrer nachgeht, zusammenfassen. Damals hat er als letzter Verfechter des grünen „Rotationsprinzips“ freiwillig seinem Sitz im Parlament geräumt. Jetzt konstruiert er in seiner Freizeit Papiermaschinen, die über eine rotierende Kurbel Figuren zu allerlei Bewegungen veranlassen.

Zum Beispiel den „Volksvertreter“: Eine Reminiszenz an seine frühere Arbeit, in der Ruffler mit viel linkem Eigensinn gegen die schlechten Gewohnheiten der etablierten Volksparteien vorging. Ein graues Männchen sitzt an seinem Pult, Aktenordner vor sich, eine Aktentasche neben sich. Die Augen hat es geschlossen. „Aber die Abstimmung bekommt er noch mit, in der Bremischen Bürgerschaft ruft sogar ein Klingelzeichen die Volksvertreter aus der Cafeteria zur Stimmabgabe“, heißt es in der Einleitung zum Bastelbogen. Betätigt man nun die Drehkurbel, so wird der Kopf von einer Schwinge in eine schläfrige Nickbewegung versetzt. Ein Gestänge – selbstverständlich auch aus Papier – hebt den Arm über ein Sperrrad langsam zur Abstimmung.

„Das sind ganz einfache mechanische Prinzipen, aber man kann sie unendlich variieren und kombinieren“, schwärmt Ruffler, der unter anderem Technisches Zeichnen lehrt und dem seine Maschinen auch schon mal als Anschauungsmaterial der besonderen Art dienen. Der Aufbau der Konstruktionen ist im Prinzip immer der gleiche: In der oberen Hälfte bunte Figuren aus leichtem Karton. Stilisierte Fischer, Motorradfahrer, Schwimmerinnen, Drachenflieger und vieles mehr. Darunter die eigentliche Maschine, in der papierene Nocken, Kurbeln, Reibräder und Zahnräder die Bewegungen verursachen. Indem Ruffler in die Antriebsräder kleine Beulen oder Zacken schneidet, werden aus linearen Bewegungen diskontinuierliche. Zum Beispiel bei der „Wimbledon-Maschine“, bei der drei Leute in Tennis-Geschwindigkeit von links nach rechts und wieder zurück schauen. Auch der „Rote Ritter“ mit Schwert und sich bäumendem Pferd lebt von den abrupten Bewegungen, die Ruffler am Computer plant und dann in Bastelbögen übersetzt.

Ruffler hatte Glück: Durch die Papiermodellläden im Schnoor und auf den Häfen fand er Unterstützung und Zuspruch für sein Hobby. Mittlerweile hat ihm der Ladenbesitzer Fritz König auch einige seiner Modelle, die Ruffler im Eigenverlag herausgibt, abgekauft. Teuer sind die Bastelbögen nicht. Eine komplexe Maschine namens „Ägyptischer Schaduf“, in der eine Figur einen Ziehbrunnen betätigt und gleichzeitig ein Krokodil im Hintergrund sein Maul auf- und zuschnappen lässt, kostet 15 Mark. Reich ist Ruffler mit seinem Hobby also noch nicht geworden. „Im Moment kostet es mehr als reinkommt“, gibt er zu, aber das Entscheidende ist in der kleinen, weltweit verstreuten Szene der Kartonfalzer schließlich die Anerkennung. Und davon bekommt Walter Ruffler reichlich. Seine Modelle werden unter anderem auf der homepage des „Cabaret Mechanical Theatre“ in London vertrieben – 1.000 Bestellungen kamen per Mail im letzten Jahr. Das Internet verlinkt die kleine Szene, auf dem PC von Ruffler treffen Nachfragen aus Amerika, Kanada undItalien ein. Zu letzterem hegt Ruffler eine besondere Beziehung: Das „Modern Automata Museum“ in der Nähe von Rom hat mehrere seiner Maschine gekauft. In der Nachbarschaft berühmter Kollegen wie Paul Spooner und Peter Markey sind nun auch die Bremer Figuren zu bewundern.

Und ist das nun der Rückzug eines engagierten 68ers ins Baslterisch-Private? Ruffler verneint. Immerhin greife er in seinen Figuren sogar das ein oder andere Polit-Problem auf. Eine davon trägt den Namen „Arbeitsmarktpolitik“, zu der ihn die „Faulenzer-Debatte“ inspirierte. Kanzler Schröders vielzitierte ruhige Hand hämmert in Abständen auf ein (arbeitsloses) Menschlein und rammt es ungespitzt in den Boden. Und noch etwas verweist auf eine linke Tradition: Anders als bei vielen mechanischen Figuren verkleidet Ruffler die Mechanik seiner Maschinen nicht. Sehen, wie's funktioniert – das Credo aufgeklärter Architekten und anderer Konstrukteure ist auch für Ruffler ein Gebot. „Das ist doch mindestens die Hälfte des intellektuellen Vergnügens an diesen Maschinen“, findet er. Elke Heyduck