Stimmbänder zu Transparenten

■ Bremer Chorkulturen: Von „ZivilCHORage“ zum Brahms-Chor

Als Chorist ist man ein vielfältig einsetzbarer Mensch. Man kann zum Beispiel gegen rechte Gewalt singen, zumindest wenn der Chor zum kürzlich gegründeten Verband „ZivilCHORage“ gehört. Und das tun in Bremen und Oldenburg mittlerweile ziemlich viele. Der Internationale Buchtstraßenchor, das Chorprojekt „Shosholoza“, der Oldenburger Bundschuh-Chor, die Bremer Chorwerkstatt, Donnacanta, Aquabella, die Falken-HipHop-Gruppe und so weiter – bisher sind über 20 Gruppen dabei. Gemeinsames Ziel: Die Stimme erheben, zum Beispiel „gegen die Kampagne für eine ,deutsche Leitkukltur' und den populistisch vorgetragenen ,Stolz, ein Deutscher zu sein'“.

In der Friedenskirche fand jetzt das Auftaktkonzert zu einer über das ganze Jahr verteilten Gemeinschaftsreihe statt. Die Bremer Chorwerkstatt, „Da Capo al Dente“, die „Chorifeen“ und „Saba“ sangen – zum Beispiel in Ghettos entstandene Lieder –, dazwischen stellten sich der „AK Jüdischer Friedhof“ und „Refugio“, der Verein zur Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge, vor.

Dieses gemischte Konzept füllte die Friedenskirche bis auf den letzten Platz. Für alle, die's verpasst haben, überträgt der Offene Kanal am 7. Februar zwischen 17 Uhr und 17.50 Uhr eine Zusammenfassung. Am 23. Februar wird die Reihe mit neun Chören im Schlachthof fortgesetzt.

In der Glocke gabs am selben Abend ein choristisches Kontrastprogramm. Der „Brahms-Chor an der Hochschule Bremen“ – 1978 „im Auftrag des Bremer Senats gegründet“, wie uns das Programmheft nicht vorenthält – sang Haydns „Schöpfung“. Immerhin ein Oratorium, mit dem auch schon mal politisch demonstriert wurde – zum Beispiel durch das mittlerweile in Bremen beheimatete Alsfelder Vokalensemble von Domkantor Wolfgang Helbig, das die „Schöpfung“ in Sichtweite des Wackersdorfer Bauzauns aufführte.

Bei Joshard Daus' Aufführung regierte selbstredend die reine Ästhetik. Und die war von gar nicht schlechten Eltern. Zumal Haydns „Schöpfung“ ein ungemein reizvolles und kontrastreiches Werk ist. Die Schöpfungsgeschichte vom Urchaos bis kurz vor den Sündenfall – das bietet Stoff für Programm-Musik par excellence.

Da brüllt der frisch erschaffene Löwe und die Musik auf „Gott schuf große Walfische“ ist ein Traum für tiefe Streicher, der die Meereseffekte jeder Chillout-Musik in den Schatten stellt.

Dem Chor verschaffte Daus mit „Und es ward Licht“ – nach einem wunderschön gezupften Knips-an-Effekt der Streicher – zwar einen gebrüllten Einstieg, dann war an den BrahmsianerInnen nichts mehr auszusetzen. Ein gemischteres Vergnügen: die Solisten – nicht nur das politisch Lied kann ein garstig Lied sein. Daus hatte ein ungleiches Terzett engagiert. Während sich Ursula Targler (Sopran) und Andreas Wagner (Tenor) in ihren Partien ziemlich anstrengen mussten, betörte Eike Wilm Schulte durch die Gelassenheit, mit der seinen Bass in die Glocke schallen ließ. Ein alter Wagner-Sänger hat volumenmäßig eben leichtes Spiel, möchte man sagen – aber Schulte hat noch viel mehr: Eine mühelose Höhe, die ihn vor jeder Peter-Schreier-Karikatur in den Rezitativen bewahrte.

Daus dirigierte das Brandenburgische Staatsorchester mit wohltuender Gelassenheit, auch wenn er sich mit den Oderfrankfurtern nicht immer hundert Prozent einig war. Das Problem: Reine Ästhetik fordert harte Maßstäbe heraus. HB

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