Plädoyer für weinende Engel

Berlin hat zu viele Friedhöfe. Werden sie in Grünanlagen umgewandelt, könnten verwitterte Statuen und in Stein gehauene Pelikane für immer verschwinden

Auf Berliner Friedhöfen gibt es viele „Seelenabschussrampen, Elefantenrücken und Schwarzbrotscheiben“. So nennen Friedhofsgärtner die Standardformen von Grabsteinen, die zwischen spitz, geschwungen und quadratisch variieren. Die wirklichen Kleinode aber liegen dazwischen: verwitterte Statuen, weinende Engel, Gräber berühmter Leute, Ruhestätten, die Altären gleichen und verwunschene Zeugnisse der Trauer.

Die Frage, was mit all diesen Kleinoden geschehen wird, wenn der Friedhofsentwicklungsplan in Berlin wirklich durchgesetzt wird, treibt die Leute im neu eröffneten „Friedhofskulturellen Forschungs und Informationszentrum“ um. „Auf die Fläche bezogen, müsste etwa jeder zweite der 220 Friedhöfe in der Stadt schließen“, erklärt Richard Mitschke vom Zentrum. Geplant ist, sie in Grünanlagen umzuwandeln. Theoretisch könnten sie nach einer Karenzzeit von 50 Jahren sogar stadtplanerisch neu bebaut werden.

Für den Gartenbauingenieur Mitschke und seine Kollegin, die Museologin Beate Nündel, beginnt hier das Problem. Durch Vandalismus und natürlichen Zerfall würden die Gräber in den öffentlich zugänglichen Parks zerstört und aufgrund fehlender Mittel zur Instandsetzung abgeräumt. „Aber Friedhöfe sind die Geschichtsbücher der Stadt“, sagt Mitschke.

Für die Leute vom Forschungszentrum, das sein neues Domizil in der Feierhalle des bereits stillgelegten Parkfriedhofs Tempelhof in der Gottlieb-Dunkel-Straße hat, liegt daher auf der Hand, dass die Friedhöfe erhalten und andere Nutzungskonzepte für sie gefunden werden müssten, die die Trauerkultur wieder attraktiver machen. Damit würden sich auch neue Finanzquellen erschließen. Dass es kaum moderne, künstlerische Experimente auf Grabstätten gebe, führt Mitschke, der selbst fast 25 Jahre Friedhofsverwalter war, auf die rigide Auslegung der Vorschriften zurück, die beispielsweise die Größe von Grabmälern vorschreiben.

Das Forschungszentrum will den kulturellen Wert der Friedhöfe neu in die Öffentlichkeit tragen. Bestandsaufnahmen wichtiger Gräber und Denkmäler wurden in vielen ABM-Projekten über die Jahre in Berlin bereits geleistet. Nirgendwo aber laufen diese Informationen zusammen. Neben Ausstellungen, Friedhofsführungen, Denkmalschutz- und Lobbyarbeit soll dies im Zentrum geleistet werden. Auch für das Patenschaftsmodell, das in Hamburg bereits Furore mache, setzt man sich hier ein. Die Idee ist einfach: Jemand finanziert die Unterhaltung einer bedeutenden Grabstätte und erwirbt sich dadurch gleichzeitig die Möglichkeit, selbst Angehörige dort zu begraben. Vielleicht würden auf diese Weise steinerne Pelikane, Schlangen und in Stein gehauene Schmetterlinge, die für Ewigkeit und die Befreiung der Seele stehen, nicht endgültig aus dem kulturellen Gedächnis verschwinden.WALTRAUD SCHWAB

Forschungszentrum, Gottlieb-Dunkel-Str. 26, Tel.: 4 29 78 91